Roland Jahn & Joachim Gauck. “ Aufarbeiter „.. im Auftrag der Geheimdienstler beider Länder !!?- Die beiden sind die letzten, die mir die DDR erklären sollen.. ich war in Jena …

Du bist wie Gift

Von Jahn, Roland

Der Friedensaktivist Roland Jahn über seine Vertreibung aus der DDR (I) Nach der Ausreise von mehreren Mitgliedern der Jenaer Friedensbewegung kurz vor Pfingsten entledigte sich die SED drei Wochen später auf spektakuläre Art eines besonders widerborstigen DDR-Bürgers aus Thüringen, der die Partei seit langem schon nervte: Sie verfrachtete den Jenaer Transportarbeiter Roland Jahn gewaltsam über die Grenze nach Westen – gegen dessen erklärten Willen und gegen DDR-eigenes Recht. Im SPIEGEL berichtet Jahn über seinen Rausschmiß und die eigenwilligen Friedensaktivisten in seiner Heimatstadt Jena. *

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http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=14018083&aref=image036/2006/06/13/cq-sp198302500780084.pdf&thumb=false  zum herunterladen als PDF.

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Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte sich die DDR für meine Zwangsabschiebung nicht aussuchen können. Nach dem ersten Wirbel bei meiner Ankunft im Westen wurde mir schnell einmal klar, was bei vielen der Grund für das starke Interesse war: Denen kam ich gerade recht zum 17. Juni – als Kronzeuge für die Unmenschlichkeit des DDR-Regimes. Das ist mir nun doch zu einfach.

Ich bin kein Systemgegner, verstehe mich nach wie vor als Sozialist, auch wenn ich am real existierenden Sozialismus in der DDR eine ganze Menge auszusetzen habe.

Darüber gab es bei einigen Leuten in der Bundesrepublik offenbar Mißverständnisse. Denen wäre es am liebsten gewesen, wenn ich gleich erst die SS-20-Raketen in Grund und Boden verdammt hätte, ohne die Nato-Nachrüstung zu kritisieren.

Man fühlt sich schnell ausgenutzt und für alle möglichen Interessen eingespannt. Am Dienstagnachmittag letzter Woche etwa wurde ich zur Aufzeichnung einer Diskussionsrunde fürs dritte bayrische Fernsehprogramm in ein SFB-Studio in Berlin eingeladen.

Mit dem Titel der Sendung – „Ausgewiesen, aber nicht mundtot“ – hätte ich mich ja noch identifizieren können. Aber als ich erfuhr, daß es um den 17. Juni geht, wäre ich fast vom Stuhl gefallen. Zum Kampf der Arbeiter am 17. Juni 1953 um ihre Rechte habe ich schon meine eigene Meinung, aber mir paßt der antikommunistische Hintergrund solcher Feierstunden nicht.

Erst wollte ich das Studio verlassen, sagte mir dann aber, jetzt mußt du erst recht bleiben. Und das Ganze lief dann auch etwas anders, als sich das einige Teilnehmer vorgestellt hatten.

Als Abgeschobener muß man aufpassen, im Westen nicht gleich unter die Räder zu kommen. Es war auch nicht ganz leicht zu erklären, warum ich keinen bundesdeutschen Paß will und daß ich in den Staat zurück möchte, der mich auf so schäbige Art abgeschoben hat.

Ich will von drinnen was bewirken, nicht von draußen. ( seit 24 Jahren kann er es machen und er macht es auch )Denn ich kann jene in Jena verstehen, die sagen: „Erst haut ihr auf die Kacke, dann macht ihr “ne Flocke, und hinterher kriegen wir die Spritzer ab.“ ( Ich denke die Unangenehmen waren bereits vor Jahn ausgewiesen !?)

Der 7. Juni, ein Dienstag, war ein wunderschöner Sommertag. Mit ein paar Mädels bummelte ich durch die Fußgängerzone von Jena, wir aßen zusammen Eis, ich fühlte mich sauwohl.

Um dreiviertel sechs hatte ich einen Termin beim Stadtrat für Wohnungsfragen, weil ich in die Wohnung meines Freundes Peter Kähler einziehen wollte, der kurz vor Pfingsten in den Westen ausreiste. Die ist größer und schöner als meine und liegt außerdem viel besser. Doch vom Wohnungsamt wurde ich gleich zur Abteilung für Inneres überstellt, wo mich Freund Bock erwartete, der Chefbearbeiter für Ausreiseangelegenheiten. „Hier ist Ihre Urkunde zur Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR“, begrüßte er mich, „nehmen Sie die bitte entgegen und unterschreiben Sie.“ „Fällt aus“, sagte ich, außerdem wüßte er doch Wirksamkeit von Drogen und Chemikalien angewiesen. Das Ergebnis waren Tausende von Therapieformen, die so häufig wechsnd packten mich. „Sie haben jetzt die Möglichkeit, Reisegepäck zu holen“, teilte Bock mir in geschäftsmäßigem Ton mit, im Festhaltegriff ging“s raus zum Hintereingang. Da stand schon das ganze Empfangskomitee: zwei Autos von der Stasi, ein Streifenwagen mit Uniformierten drin und ein Wagen vom Ministerium des Innern. Für einen kleinen Volksschädling ein ganz hübscher Aufwand.

Bock und ein Kollege nahmen mich in die Mitte, und wir fuhren zu meiner Wohnung in die Käthe-Kollwitz-Straße 14. Beim Aussteigen ließen sie mich für ein paar Sekunden aus den Augen. „Jetzt oder nie“, dachte ich mir und sprintete los. Bis zur Wohnung einer Freundin waren es etwa 50 Meter, dahin spurtete ich quer durch die Leninstraße, die Männer, vier Uniformierte und ein Haufen Zivile, hinterher. Am aufgeregtesten vorneweg dieser Bock, weil er wahrscheinlich am meisten auf den Deckel gekriegt hätte, wenn ich entwischt wäre.

Ich rannte hoch bis zum letzten Stockwerk und flüchtete in die Wohnung der Bekannten. Die Verfolger dachten zuerst, ich wäre auf dem Dach und polterten bis ganz nach oben. Nach zwei Minuten dämmerte ihnen wohl, daß ich in der Wohnung sein mußte, und dann standen sie auch schon drin. Erst überlegte ich noch, auf den Balkon zu türmen, aber die hätten mich runterspringen lassen – Hauptsache, aus dem Verkehr gezogen. Sie legten mir diese Knebelketten an. Das ist so eine Eisenkette, da werden zwei Stäbe, einer mit einer Nut drin, ineinandergelegt und der Polizist, der sie in der Hand hat, dreht sie zu. Bei der kleinsten Bewegung schneidet die Kette dann richtig ein ins Handgelenk.

Wie einen Gewaltverbrecher führten sie mich aus dem Haus zur Leninstraße, wo die Autos standen. Dort spielten – es war mittlerweile so gegen sieben – jede Menge Kinder. 20 bis 30 Leute standen drumherum und starrten mich an. Mir war das ziemlich peinlich. „Nicht, daß ihr denkt, ich hätte einen umgebracht“, rief ich ihnen zu, „ich will nur nicht in den Westen.“

Die Fahrt im Konvoi nach Probstzella war eigentlich das Schlimmste. Es war ein herrlicher Tag gewesen, die Landschaft lag unwahrscheinlich friedlich da. Du bist in einer Situation, die dir unwirklich vorkommt. 29 Jahre wohnst du am selben Ort, hast viel Ärger gemacht und gehabt, aber daß du jetzt plötzlich weg sollst, völlig unvorbereitet, das kapierst du in dem Moment gar nicht richtig. Ich erinnerte mich an den Ausspruch eines Stasi-Vernehmers, der mir an den Kopf geworfen hatte: „Du bist wie Gift!“

Ich glaubte aber immer noch nicht, daß sie wirklich Ernst machen, rechnete damit, daß im letzten Moment eine Meldung von oben kommt: Der Bock hat “ne eigenmächtige Aktion gestartet, alles stoppen, jetzt seid ihr zu weit gegangen. Natürlich passierte nichts. Sie führten mich in Probstzella in einen kleinen Raum mit einem Guckloch in der Tür. Dort saß ich von etwa acht Uhr abends bis zum nächsten Morgen kurz vor drei Uhr.

Dann haben sie mich zum Bahnsteig gebracht. Erst hinterher erfuhr ich, daß wir auf den D 301 vom Berliner Bahnhof Friedrichstraße nach München warteten, der um 3 Uhr 10 in Probstzella abfährt und sieben Minuten später in Ludwigsstadt eintrifft.Als der Zug in den Bahnhof rollte, kam nochmals so ein letztes Aufbäumen. Das ist doch gar nicht wahr, sagte ich mir, du kannst doch nicht gegen deinen Willen aus dem Land geschmissen werden. Ich hab“ mich mit Händen und Füßen gewehrt und bin nicht vorwärtsgelaufen, obwohl das wahnsinnig wehtat, weil sich diese Knebelketten ins Handgelenk einschnitten. Ich schrie auf vor Schmerz. Ein Bewacher legte mir von hinten den Arm um den Hals und drückte zu, daß ich keinen Ton mehr herausbrachte. So schleiften sie mich zum Zug, ans Ende des letzten Waggons, ein Schlafwagen. Zwei Mann stiegen mit mir zusammen ein und verfrachteten mich auf die hintere Plattform. Sämtliche Türen, die zur Toilette und die zum Gang des Schlafabteils, waren zugeschlossen.Dort standen wir zu dritt noch einen Moment, bis das Zeichen zur Abfahrt kam.

Meine beiden Bewacher sprangen raus, knallten die Tür zu und sperrten von außen ab. Es ist ein unglaubliches Gefühl, wenn du in so “ner Situation plötzlich allein hinten im letzten Wagen zur Tür auf die Schienen rausguckst und alles verschwindet hinter dir. Es ist wie im Kino. In Ludwigsstadt habe ich dann ans Wagenfenster geklopft, nach einiger Zeit öffneten zwei westdeutsche Grenzpolizisten. Die besaßen ein Ausweispapier von mir. Die Stasi-Leute hatten es dem Schlafwagenschaffner vor der Abfahrt in die Hand gedrückt, als Ersatz für meinen Personalausweis, den sie mir abgenommen hatten. „Visum zur einmaligen Ausreise“ war da aufgestempelt, „gültig bis 8. 6. 83, 7 Uhr.“ Und: „gebührenfrei“ – Papiere für ein Stück Frachtgut.

Da kommst du nach ein paar Kilometern an und bist auf einem anderen Planeten. Du siehst all die Autos hier, diese Läden und Schaufenster, hörst diese bayrische Sprache und denkst dir: Halt, da stimmt doch was nicht, was willst du eigentlich hier?Das war für mich das Bedrückende. Ich wollte gar nicht in den Westen, und plötzlich stehst du da an der Grenze. Wenn einer jahrelang auf seine Ausreise wartet, und dann ist es endlich soweit, der fühlt sich doch wie im Paradies, der hat sich doch mit seinen Gedanken und Erwartungen drauf eingestellt. Bei mir war es nur ein Gefühl der plötzlichen Einsamkeit und Leere.

Für die Stasi in Jena war ich ein alter Kunde. Während der ganzen Zeit meiner Verhaftung, wegen angeblicher „Mißachtung staatlicher Symbole“, vom September letzten Jahres bis Ende Februar hatten sie mich im Bezirksgefängnis in Gera bearbeitet, endlich einen Ausreiseantrag zu stellen. Unter dem Druck habe ich noch im Gefängnis ein Papier – es war kein formaler Antrag – unterschrieben, daß ich mit einer Ausreise einverstanden wäre. Kaum war ich aus der Haft heraus, habe ich das widerrufen, weil ich nicht in freiem Willen unterschrieben hatte. ( Mit Knebelketten um Handgelenk schreibt sich schlecht ,Herr Jahn, dafür ist Dein Anztrag sauber verfasst !?)

Wofür andere Leute ein Vermögen bezahlen würden, haben sie mir nach der Entlassung mehrmals auf dem Silbertablett serviert – und ich hab“ es abgelehnt. Das machte mich unheimlich stark.

Kurz vor Pfingsten kriegte ich wie die anderen unserer „Friedensgemeinschaft Jena„, die vor den Feiertagen ausreisen sollten, ein Schreiben von der Abteilung Inneres beim Jenaer Bezirksamt. Bis Donnerstag vor Pfingsten, teilten sie uns mit, sollten wir draußen sein. Ich hab“ den Brief, wie alle früheren Versuche, mich zum Ausreisen zu bewegen, negiert und gleich zerrissen. ( Bis jetzt kennen wir keine Namen von dieser Gruppe und wo die gelandet sind… kein Interview mit Mitkämpfern, kein mit Mithäftlingen… sie wollten alle raus  NUR Du nicht !? – Dafür bist Du jetzt Leiter der Jahn Behörde !??)

Weil ich mich nicht meldete, schwärmten die Stasi-Leute aus und suchten mich in der ganzen Stadt. ( Wenn Sie Dich bei Deiner Mutter rausholten,brauchten sie nicht ausschwärmen und Dich in der ganzen Stadt suchen- außerdem, so groß ist die Jena nicht !?) Bei meiner Mutter holten sie mich direkt aus der Badewanne und fuhren mich zur Abteilung Inneres.Die Herren vom „Innern“ erklärten, welche Formalitäten ich für meine Ausreise zu erledigen hätte. Ich hörte gar nicht hin. Da wurden sie fuchtig, einer schnaubte: „Sie fahren, ob Sie wollen oder nicht.“ Das war am Mittwoch vor Pfingsten.

Übers Wochenende hatte ich erstmals Ruhe, auch deshalb, weil ich wegfuhr zur zentralen Pfingstkundgebung der FDJ nach Potsdam, wo auch der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker sprechen sollte. ( Wegen der Funktion und Ansehen Deines Vaters durftest Du Dich entfernen- sieht nach Elitebehandlung aus !?)

Meine Freunde und ich hatten schon am 19. Mai bei der FDJ-Kundgebung in Jena demonstriert. Viele waren es ja nicht mehr, weil knapp zehn Leute schon vor Pfingsten nach West-Berlin ausreisten. Gerade deshalb war ich der Meinung, daß bei der Hauptveranstaltung in Potsdam was los sein muß. Das Plakat mit der Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“ habe ich erst in Berlin gemalt, und dann bin ich mit der S-Bahn nach Potsdam und hab“s geschafft, bis zum Kundgebungsplatz zu kommen. ( und die STASI hat Dich so einfach unbeobachtet ziehen lassen !??)Als ich das Plakat dort ausrollen wollte, haben sie mich geschnappt und mir ein paar auf die Schnauze gehauen. „Schafft das besoffene Schwein weg“, riefen ältere Herren in Hemden der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Dann brachte man mich in eine Schule, wo schon andere Friedensfreunde waren. ( Wie viele ?-Woher kamen die,warst Du der einzige aus Jena ?)

Dort wollten sie ein Verhör mit mir machen, gut sagte ich, eine Stunde hab“ ich Zeit, da können wir uns gern über den Frieden unterhalten, aber dann muß ich weg – wichtige Termine. Wenn Sie sonst noch was wissen wollten, könnten Sie ruhig in Jena anrufen, die wüßten alles über mich. (  da warst Du großzügig..dem MfS eine Stunde Deiner kostbaren Zeit einzuräumen !?)

Tatsächlich kam dann, nachdem sie mich 18 Stunden ( aus einer Stunde wurden 18 ?- wirklich eine Schweinerei!… hast Du Namen und Dienstgrad abverlangt !? Ach ja die Dienstgrade kanntest Du schon vom BEPO.)festgehalten hatten, ein Auto der Jenaer Stasi und hat mich nach Hause gefahren. ( So was macht man heute  mit Minderjährigen, fährt man sie nach Hause und übergibt den Eltern )

Der Stasi-Mensch sagte mir, ich dürfe das Kreisgebiet nicht verlassen, doch schon Stunden später war ich wieder in Berlin – ich hatte wirklich eine dringende Verabredung mit meinem Anwalt. ( Schnurr!?.. da hast Du schon den Richtigen gehabt.- sich  tzrotzdem zu entfernen, Mensch Jahn, Du hast was drauf gehabt!)

Am 24. Mai, dem Dienstag nach Pfingsten, früh um acht klingelte es an der Haustür. Abteilungsleiter Bock und sein Kollege Jaenecke, die meinen Fall bearbeiten, hasteten das Treppenhaus hoch und baten mich, mitzukommen, bevor die Polizei mich holen müsse. ( Hasteten hoch.. umDich zu bitten !?)

In Schlafanzughose stand ich da und sagte nur: „Herr Bock, Sie können gehen.“ Das war eine unheimliche Genugtuung, diesen Mann so klein zu sehen. Jeden Dienstag stehen bei ihm vierzig Leute vor der Tür und wollen wissen, was mit ihrem Ausreiseantrag ist und ob der denn nun bald bearbeitet wird, und ich habe den Bock einfach weggeschickt. ( Bei dem Vater konntest Du Dir das leisten !?)

Die Geschichte ging in ganz Jena rum, und alle haben sich kaputtgelacht über diesen Zyniker Bock, diesen mächtigen Cheffunktionär, der die Leute total auseinandernimmt und stundenlang befragt, warum sie wegwollen. So ganz traute ich dem Frieden von da an allerdings nicht mehr. Vorsichtshalber ließ ich mich möglichst wenig zu Hause sehen. Angst hatte ich keine, denn daß sie Gewalt anwenden würden, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. ( aus  der Feder eines BEPO dies zu lesen- Verharmlosung pur – oder für wen hiltst Du Dich den !?)“Schließlich„, so sagte ich mir, „bist du ja kein Biermann.“ ( Singen und dichten konntest Du nicht, aber Kommunist wie er warst Du schon !??)

Ich komme aus einer typischen DDR-Familie, etwas kleinbürgerlich, aber rechtschaffen. Von Politik wurde bei uns nicht gesprochen. Man hielt sich da raus. Mein Vater hat sich bei Zeiss hochgerackert, erst technischer Zeichner, dann Konstrukteur und schließlich wissenschaftlicher Mitarbeiter des Betriebs. Weil am Anfang das Geld ziemlich knapp war, mußte meine Mutter als Buchhalterin mitarbeiten. ( Hallo Roland – Carl Zeiß war ein  Betrieb des MfS von strategischer Bedeutung, so wie ROBOTRON, als wissenschaftlicher Mitarbeiter- womöglich Geheimnisträger ? war man nicht typisch kleinbürgerliche DDR Familie dazu noch Funktionär bei Carl Zeiss – was Dein Vater geschafft hjatte, hättest Du niemals geschafft)

Mein Vater war beim „FC Carl Zeiss Jena“ Fußballfunktionär, und ich machte da auch mit. Da ging viel Zeit drauf, vor allem, als ich anfing, Leistungssport zu treiben. Mit zehn habe ich begonnen und spielte mit 18 in der Junioren-Oberliga. Das machte mir viel Spaß, und ich kam viel rum dabei; zu Turnieren und Auswärtsspielen. Was aber das Wichtigste war: Man hatte das Gefühl, in einem Kollektiv drin zu sein, ( wie mein Vater bei der Hitlerjugend- nur er musste später zu SS an die Front, in den Kessel – und Du bist aus  dem DDR Paradies in den verhassten Westen geraten) engagiert zu sein, man gab sich selbst einen Inhalt, wenn auch ziemlich einseitig, was mir aber erst später bewußt wurde. Da war eben das Gefühl, in einer Gruppe zu leben, und das zählte, Politik spielte damals noch keine Rolle. (Wann  hat die denn angefangen eine Rolle bei Dir zu spielen !??)

Irgendwann aber wurde das Fußballspielen zur Belastung. Erst einmal in der Woche trainieren, dann dreimal, schließlich fünfmal, außerdem habe ich zu diesem Zeitpunkt auch noch die erweiterte „Johannes R. Becher“-Oberschule besucht. Das sah dann so aus: Vormittags Schule, nachmittags Training, dann Sauna, später Hausaufgaben machen, da blieb kein Raum für was anderes. ( Haben tausende Deinesgleichen in der DDR  gemacht… viele sind Olympiasieger, Weltmeister geworden… als Fußbalspieler nichts getaugt !??- aber Name des Vaters machte einiges möglich?- Vom Vaters Ruhm vorwärts kommen !?))

Schon damals hatte ich den Ruf eines Quertreibers. In der vierten Klasse schrieb der Lehrer ins Zeugnis unter Bemerkungen: „Er neigt dazu, in Opposition zu treten.“ Später hieß es dann: „Er muß sich um einen gefestigten Klassenstandpunkt bemühen.“ Ich war nie ein nölender Typ, aber hartnäckig bin ich schon.

Meine Politisierung fing ganz langsam an. Ende der 60er Jahre war bei uns an der Schule per Erlaß das Tragen langer Haare verboten worden. Da bin ich nach Berlin gefahren und habe im Volksbildungsministerium eine Beschwerde eingereicht. Ich wurde nicht abgewiesen, das war ein Aha-Erlebnis: Man ist doch nicht ganz machtlos. Gleichzeitig habe ich aber versucht, das Gute, das ich am Sozialismus gesehen habe, aufzunehmen, weil ich mir immer nur vorstellen konnte, in einem sozialistischen Land zu leben.

In diesem Alter, in der 7., 8. und 9. Klasse,( Hallo Roland!? Einer im Pubertät interessiert sich  kaum für Politik, es sei den  schon wegen Dauer-Rotbestrahlung  – Du könntest  noch Bundestagspräsident werden, so gut Du politisch gefestigt warst und bist !??- überleg mal? Dann  wäre der Plan B des MfS voll aufgegangen !??)) erkannten die meisten die Schwarzweiß-Malerei der letzten Jahre, was ihnen ( DIR !)eingetrichtert worden ist. Gerade bei Kleinigkeiten wie Haartracht, Kleidung oder Musik – die Bands „Puhdys“ oder „Ton, Steine, Scherben“ waren bei den Erziehern besonders verpönt – zeigte sich der kleine Unterschied zwischen Anpassung und Nichtanpassung unter den Schülern, zwischen denen, die den Mund hielten, um in Ruhe ihr Abitur zu machen und denen, die nicht alles schluckten. Der schwerste Bruch für mich als Jugendlicher war die Militärdienstzeit,(  Hallo Roland, DU hast keine Militärdienstzeit kennengelernt hat Dich dafür bei der Bereitschaftspolizei freiwillig gemeldet und hervorgetan !??) die ich bei der kasernierten Bereitschaftspolizei verbrachte. Da hat bei mir das Nachdenken über Krieg und Militär eingesetzt. Ich wußte ja vorher noch nicht einmal, daß man den Waffendienst verweigern und Bausoldat werden kann( WAS hast Du über die DDR denn eigentlich gewußt, wenn DU nicht mal das gewusst hast- politisch warst Du eine Null – und wusstest auch nicht was für Aufgaben die BEPO hat!?? Absperren, Auflösen,Niederknüppeln,auf die Pritsche werfen – die Fragen werden auf dem Rewier oder in der U-Haft gestellt !?) Außerdem wollte ich studieren, weil ich damals glaubte, daß man( entweder drei Jahre NVA oder kürzer bei BEPO anheuern muss) Kompromisse eingehen muß, wenn man was durchsetzen will( und durchsetzen konntest Du erst mal gar nichts – was sollst Du den draufgehabt haben, also die BEPOS  „verhalfen“ dir zum gefestigten Klassenstandpunkt !?). Heute( seit WANN ??) denke ich anders darüber: Man muß ganz schön aufpassen, daß aus dem Marsch durch die Institutionen kein fauler Kompromiß wird.

Ich habe 1972, ich war gerade 19, in Rudolstadt im Bezirk Gera Wehrdienst geleistet( bleiben wir bei BEPO, denn als Soldat wärest Du nicht eingesetzt worden), wäre also bei Unruhen in Jena eingesetzt worden.

Das Verhalten bei solchen Unruhen wurde ( bei der BEPO) regelrecht geprobt. In der Umgebung von Jena haben wir bei Manövern gelernt, wie Studentendemos beizukommen ist. ( und so was lernen  einfache NVA Soldaten nicht)Wir standen bei einer solchen Übung an den Ausfallstraßen, mußten „Unruhestifter“ verfolgen, die sich in die Jenaer Berge geflüchtet hatten, die Aufmüpfigen mußten wir zusammentreiben und mit Wasserwerfern außer Gefecht setzen und abführen. ( Kaum aus dem Osten raus hast Du angefangen  mit der Verharmlosung im Westen, da war eine Wende  noch gar nicht in Sicht !?)Bei dem Gedanken kann ich heute nur lachen, weil ich inzwischen weiß, daß von den Studenten am wenigsten zu erwarten ist. ( Ja, von DDR Studenten war  in den 70 igern wahrlich nicht zu erwarten- mussten alle brav in die Vorlesungen und Seminare… bei dreimaligem unentschuldigten Fehlen .. kam man vor den FDJ Sekretär und drohte Kürzung des Stipendiums..etc. Einige unterschrieben die Selbstverpfliochtungserklärung und besserten durch Dichtung oft ohne Wahrheit ihr Stipendium auf, manche schickten von 195 M DDR noch was nach Hause !?)

Weil ich diese Übungen als normaler Soldat, nicht etwa als Polizeibeamter mitmachte, fragte ich mich natürlich: Was machst du, wenn“s wirklich passiert? Für mich stand jedenfalls fest, dann mußt du krankfeiern oder auf der Stelle umfallen, es geht nicht, du kannst so was nicht machen. ( Spätestens  nach diesem Absatz muss man lachen – dass Du bei der Bereitschaftspolizei gewesen bist, ging unter in Deiner Vita, vermutlich  durch diesen Artikel zum Soldatendienst verharmlost. Du sprichst davon wieder erst als Leiter der Jahnbehörde, inzwischen als Bürgerrechtler und Widerständler geworden !??)

Unsere Offiziere nannten wir „die rote SA“. Wie die schon dastanden, in dieser Bluse mit dem Riemen darüber und diese Reiterhosen, da habe ich nur Vergangenheit gesehen. Die sahen aus wie NS-Schergen im Film, die gegen Kommunisten oder andere Antifaschisten vorgehen.Radikaler Pazifist bin ich trotzdem nicht geworden, bis heute nicht. Manche meiner Freunde konnten das nicht verstehen. Ich lehne Waffen nicht vollständig ab. Ich weiß zum Beispiel, daß ich in bestimmten Situationen selbst eine Waffe in die Hand nehmen würde, aber was soll ich mit der Waffe gegen die eigene Bevölkerung? ( Willst Du uns jetzt auch noch behaupten, dass Du nicht wusstest, dass die Bereitschaftspolizei NUR gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wird !? – Das was Jahn damals  vor dem SPIEGEL abgelassen hatte war  eine gute Agitprop-arbeit vom feinsten da wäre die FDJ-lerin Angela Merkel so stolz auf Jahn gewesen, dass er sich so schlägt im Feindesland!?)

Nach eineinhalb Jahren ( Bereitschaftspolizei )Militärdienst und einem vorübergehenden Job als Sportplatzarbeiter( Papas Name und Funktion machte es möglich ?) begann ich im Herbst 1975 an der „Friedrich-Schiller-Universität“ in Jena Wirtschaftswissenschaften zu studieren( den Platz hast Du  unter großem Einsatz und Eifer bei taktischer und politischer Ausbildung redlich verdient und  Gefallen am System gefunden !?).  Weil ich mathematisch ein bißchen was los habe, ist mir das Studium leichtgefallen. Ich kann auch ganz passabel Russisch, was an der Uni eindeutig von Vorteil ist. ( Wer mathematisch was los hatte  geht Naturwissenschsften zu studieren und  nicht  ML und POLÖK zu büffeln)

Das Studienfach wählte ich, weil ich jetzt richtig politisch motiviert war. (Nach der Ausbildung bei der BEPO erhielt der vom Kindergarten auf eingetrichterte Hass zum Westen und allem westlichen den letzten Schliff und Du hattest endlich den gefestigten Klassenstandpunkt um richtig politisch motiviert die Parteikariere anzugehen !?? – anders kann ich es nicht verstehen.

Ich begann, die Auseinandersetzung in Form von Diskussionen zu suchen, vor allem auch mit Wirtschafts- und Parteifunktionären( aöls Absolvent der BEPO ?). Dazu gab es häufig Gelegenheit in den Fächern Politische Ökonomie und Philosophie, aber auch in Wirtschaftsgeschichte. Der zuständige Professor hatte dafür wenig Verständnis. Mal sagte er spöttisch: „Sie vertreten mir zu sehr die Volksmeinung.“

Diese intellektuelle Arroganz ist typisch für den Uni-Betrieb in der DDR. Gerade bei wirtschaftlichen Problemen, so tönt die herrschende Meinung, könne die Bevölkerung nicht mitreden, weil die meisten davon nichts verstünden. Weil ich privat häufig mit Arbeitern zusammen war,( WO? – beim Fußball !?) stank mir das besonders. Die meisten Kommilitonen hatten überhaupt keine Verbindung zu Arbeitern.( geborener Bürgerreichtler aus der BEPO hervorgegangen !?)

Am liebsten traf ich mich mit meinen alten Bekannten aus Jena. Etwa vier Fünftel der Studenten kamen von auswärts, hatten also keinerlei Kontakte in der Stadt. Daher konnte von der Uni gar nicht viel Bewegung in die Stadt kommen, da strahlte nichts aus, die Studenten waren unheimlich brav. ( Du auch? Geldnöte hast Du nicht gekannt als Student !?)

Das zeigte sich zum Beispiel bei den Volkskammer-Wahlen 1976. Wir mußten alle in der Uni wählen, obwohl man seine Stimme normalerweise am Wohnort abgibt. Sie hatten zwar Wahlkabinen aufgestellt, die benutzte aber niemand. Wer in die Kabine ging, machte sich schon mal verdächtig. Ich ging rein und strich alle Namen auf der Liste durch und warf den verschlossenen Umschlag in die Urne.

( Damit warst Du schon ein halber Staatsfeid oder verkannter Bürgerrechtler !?)

Nach der Wahl forderte die Uni-Leitung von meinen Professoren Beurteilungen über mich an. Das war ein Warnsignal.

( Da warst Du aber mit Sanfthandschuhen angefasst.. ich traf einen Leutnant der NVA… der sich Arsch aufgerissen hatte.. seine Generation waren schon Hauptleute und Majore, er ging zum Personalrat, wollte es wissen.“ Genosse Ihre Ergebnisse sind zwar immer die besten aber  Sie haben einmal nicht gewählt und sie werden als Leutnant in die Rente gehen“- die NVA  kapitulierte ohne einen Schuss abgegeben zu haben. Jahn so geht Aufklärung !?)

In Jena, wie auch in anderen Städten, hatte sich damals ( wann genau !?) eine Art Szene entwickelt, ( unter braven Studenten)ein Ausdruck, den ich eigentlich nicht mag, weil er aus dem Westen übernommen ist. Es waren Leute, die nicht mehr mitspielen wollten. Die einen versuchten auszusteigen, die anderen, zu denen ich gehörte, wollten sich integrieren und das verkrustete System von innen her auflockern.

Es bildeten sich Freundeskreise, oft nicht mal politisch motivierte, in denen versucht wurde, Alternativen zu entwickeln. Man traf sich in Wohnungen, veranstaltete private Ausstellungen und Feten. Das war irgendwie alles sehr verflochten. Sibylle Havemann, die Tochter von Robert Havemann, studierte in Jena, Wolf Biermann und die Liedermacherin Bettina Wegner waren oft da. Manche Gruppierungen dienten mehr der Unterhaltung, weil in einer Provinzstadt wie Jena sehr wenig los ist.

Besonders aktiv war der Lyrikzirkel um Lutz Rathenow und Jürgen Fuchs, einem Freund von Biermann und Havemann. Wegen ihrer politischen Haltung an der Uni und ihren privaten Lesungen, zu denen manchmal 30, 40 Leute in einer Wohnung zusammenkamen, flogen sie von der Uni. Das hat uns natürlich alle sehr aufgewühlt.

Dann, 1976, kam die Sache mit Biermann, der ausgebürgert wurde. Für viele von uns war er eine Symbolfigur, ein Idol. Wir protestierten. Darauf wurden sieben oder acht junge Leute, alles Mitglieder eines sehr aktiven Lesekreises, festgenommen und im Sommer 1977 zusammen mit Fuchs abgeschoben – ohne Prozeß.

Die Partei hatte damit einen entscheidenden Fehler gemacht. Damals entstand

die Achse Jena-Berlin/West, die später für die Friedensbewegung große Bedeutung bekam. Mit ihrer Ausbürgerungsaktion stellte die SED selbst erst jene Öffentlichkeit her, ohne die sich die alternative Friedensbewegung in Jena nicht so breit hätte entwickeln können.

Die Abschiebung hatte auch noch andere Folgen. Für viele der nicht Angepaßten in Jena war sie ein deprimierendes Erlebnis. Es bildeten sich zwei Fraktionen. Die einen sagten: Was soll ich hier noch? Ich hau auch ab; sie stellten Ausreiseanträge. Dann gab es die notorischen Dableiber, die meinten: Jetzt erst recht.

Ich selbst war der Meinung, daß man dort, wo man lebt, etwas verändern muß. Wenn mir etwas übel aufstieß, konnte ich schon immer schwer die Klappe halten.

Deshalb nahm ich 1976, in einer Seminarveranstaltung, auch zu der Ausbürgerungsaktion Stellung. Einige Kommilitonen warnten mich: Biermann ist tabu. Paß auf, die drehen dir sonst noch ein Ding rein.

Na ja, und einer der Kommilitonen hat dann tatsächlich heimlich in Steno mitgeschrieben, daß ich mich öffentlich mit Biermann solidarisierte. Ich sagte nur, ich fände die Ausbürgerung grundfalsch und kritisierte die Berichterstattung im „Neuen Deutschland“, wo alles gräßlich verzerrt dargestellt wurde.

Im Januar 1977 kam es zum Ausschlußverfahren. Ich hätte Kontakte zur „Jenaer Unterwelt“, hieß es in der Begründung. Die FDJ stellte einen Antrag auf Exmatrikulation. Meine Seminar-Kollegen sollten darüber abstimmen: 13 waren für meinen Rauswurf, einer dagegen. Erst hinterher erfuhr ich, daß die Uni-Leitung mit den Kollegen einzeln gesprochen hatte. Das Argument: Ihr wollt doch nicht, daß es nachher in West-Zeitungen heißt: Jenaer Student gegen den Willen seiner Kommilitonen ausgesperrt, ihr wollt doch nicht einen Grund zur Verleumdung liefern?

Daraufhin habe ich mir eine Disziplinarordnung besorgt und festgestellt, daß meine Exmatrikulation ungesetzlich war.

Es hätte nämlich ein Disziplinarverfahren stattfinden müssen, und weil das nicht geschehen war, kreuzte ich einfach wieder an der Uni auf, als wäre nichts geschehen. Das war für die völlig neu. Die hatten bisher Hunderte von Studenten einfach so geext, ohne daß was passiert war. Und so bekam ich dann doch noch mein Verfahren – einen ordentlichen bürokratischen Rausschmiß.

Wenn ich mich in der Produktion bewähren würde, sagte mir der Vorsitzende des Disziplinarausschusses zum Abschied, könnte ich mich ja noch mal bei der Uni bewerben.

Einen Job zu kriegen war damals kein Problem, ich dachte mir: Steigst am besten ein als Transporter, da brauchste keine große Qualifikation und kommst viel rum, kriegst viel mit. Das ist mir auch gut bekommen. Bei Zeiss habe ich in einer Abteilung gearbeitet, wo Schwermaschinen umgesetzt werden. Anfang der siebziger Jahre kamen viele Lehrlinge von auswärts nach Jena. Das hat die Jugendszene spürbar angereichert. Die trafen auf unsere Gruppen, dadurch bekamen auch wir wieder neue Eindrücke.

Viele, die mit den Strukturen in den Großbetrieben wie Zeiss oder Jenapharm nicht mehr zu Rande kamen, suchten nach alternativen Lebensformen. Man hat sich als Solidargemeinschaft verstanden, einige haben auch zusammen gewohnt, was in der DDR eher ungewöhnlich war.

Man kam einfach irgendwohin, hat geklingelt, setzte sich rein und aß mit zu Abend, wenn sich“s ergab. Da wurden keine Termine ausgemacht, das war gar nicht nötig, die Türen standen offen.

Einige meiner Freunde haben Aussteigerjobs gesucht, was Ende der siebziger Jahre nicht schwer war. Ein paar arbeiteten als Angestellte der Kirchengemeinde auf dem Friedhof als Gärtner, einer wurde Briefträger, da hatte er nachmittags früh Dienstschluß, ein anderer Transportarbeiter, wie ich.

Es gab natürlich ein paar, die sich von solchen alternativen Grüppchen und Gruppen angezogen fühlten und überhaupt nicht arbeiten wollten, das gab dann vor allem später in der Friedensgemeinschaft Probleme, weil man uns mit solchen Leuten in Verbindung brachte, um die Friedensbewegung zu diffamieren: Das sei ein Haufen von Kriminellen _(Unten links Jahn als ) _(Hitler-Stalin-Karikatur. )

und Arbeitsscheuen. Die Kommunikation lief zum Beispiel so, daß wir uns meist morgens um 9 in der Uni-Mensa zur Frühstückspause trafen. Wir haben zu der Zeit auch angefangen, Kunstmappen zusammenzustellen, die dann als Miniausstellung von Künstlern herumgereicht wurden, die öffentlich nicht ausstellen durften. Zuerst wollten wir die Mappen „Jenaer Druck“ nennen. Das schien aber manchen zu heiß. Künstler sind halt manchmal ein bißchen ängstlich.

Wir begannen dann auch, Postkarten zu fabrizieren, mit doppeldeutigen Motiven und Sprüchen drauf. Die haben wir in der ganzen Republik rumgeschickt, alles offiziell auf dem Postweg mit Briefmarke hintendrauf. Manche haben wir an Prominente geschickt, zum Beispiel dem Hermann Kant vom Schriftstellerverband. Solche Karten haben auch Gruppen in anderen Städten verschickt, es wurde “ne richtige Kleinkunst draus. Meist nur mit einfachen Mitteln und nur kleiner Auflage. Das war ein wichtiges Medium, weil wir ja keine Plakate kleben oder Mitteilungsblätter herstellen konnten. Man zeigte damit: Wir sind da, auch wenn ihr uns nicht seht.

In Jena sind solche Postkartenaktionen heute nicht mehr möglich. Leute von uns, die bei der Post arbeiten, haben von Anweisungen gehört, Karten in größerer Stückzahl und mit bestimmten Motiven seien einzuziehen und der Stasi weiterzureichen.

Eigentlich waren das nur bescheidene Ausbrüche an Individualität, aber die sind eben in der DDR mit vielen Unannehmlichkeiten verbunden.

Eines Tages veranstalteten ein paar von uns in der Jenaer Innenstadt so “ne Art Happening. Mit einer ulkigen Figur, die sie auf einem Handwagen hinter sich herzogen, wollten sie den Kleinstadt-Spießbürger parodieren. Da habe ich denen gesagt, das ist doch wirkungslos. Es war doch fast zur Faschingszeit. So was muß man an zwei Tagen machen, zur Wahl und am 1. Mai.

Am 1. Mai 1982 ließ ich dann die Aktion steigen. Das Gesicht links braun, rechts grün geschminkt, auf der einen Seite Hitler-Tolle und Schnurrbart, auf der anderen Stalin-Frisur und Schnäuzer. Dazu roter Binder, karierte Jacke und alte graue Hose, alles durcheinander, um die Widersprüchlichkeit zu zeigen. So habe ich mich dann neben die Tribüne mit der Parteiprominenz gestellt, wo die ganzen aufgebotenen Massen vorbeilaufen und einem zuwinken müssen.

Einige aus meinem Betrieb haben mich erkannt und fragten, was das soll. Ich mußte vorsichtig sein und sagte nur: „Vielleicht war ich ein Spiegel. Und außerdem sollte man sich mal überlegen, wem man zujubelt.“ Ich war der Meinung, jeder kann so aussehen, wie er will, das ist strafrechtlich nicht erfaßbar. Den ganzen Tag lief ich in der Aufmachung rum und setzte mich in Kneipen. Da kamen interessante Diskussionen auf. Einige Male wurde ich natürlich angepöbelt. Bei den meisten kam aber “ne Betroffenheit raus.

Ich habe Formen gesucht, um auf Dinge aufmerksam zu machen, die mir aufstießen, ohne mit dem Gesetz gleich in Konflikt zu geraten. Dazu muß man wissen, daß in der DDR einer sehr viel rascher auffällt als irgendwo sonst, wenn er sich in der Gesellschaft nicht konform verhält.

Das zeigten die Erfahrungen mit der Polenflagge. Was die polnischen Arbeiter mit „Solidarnosc“ versucht hatten, imponierte mir. Offiziell war das Thema natürlich tabu. Also kaufte ich für acht Pfennig eine kleine weiß-rote Polenflagge und befestigte die an meinem Fahrrad.

Im Betrieb war ich häufig auf dem Werksgelände mit dem Fahrrad unterwegs. So kam es dann öfter zu Gesprächen über Polen, Solidarität und Streiks. Meine Arbeitskollegen sprachen mich oft nur noch mit „Solidarnosc“ an. Die Gespräche waren allerdings oft deprimierend, die Antworten vieler Arbeiter sehr deutsch: „Die Polen sollen lieber mal richtig arbeiten!“

Als in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wurde, schrieb ich dann in polnischer Sprache auf meine Flagge: „Solidarität mit dem polnischen Volk“ – was ja jahrelang in der DDR auch eine Losung der Partei gewesen war. Das konnte dann die Staatsmacht nicht mehr ertragen. Am 1. September, als ich mit meiner Flagge wieder mal durch Jena radelte, wurde ich festgenommen und in U-Haft gesteckt. Man inszenierte für mich eine absurde Gerichtsverhandlung.

Im nächsten Heft

In Jena formiert sich eine aktive Friedensgemeinschaft. Die evangelische Kirche geht auf Distanz. Es kommt zu ersten Demonstrationen – die Staatsmacht fühlt sich bedroht.

Oben: mit einem Bild des ausgereisten DDR-Bildhauers Michael Blumhagen am 18. März 1983 in Jena; oben rechts: im Supermarkt; unten: an der Mauer, im Hintergrund das Haus der Ministerien in Ost-Berlin. Bei der FDJ-Friedenskundgebung am 19. Mai in Jena. Unten links Jahn als Hitler-Stalin-Karikatur.

Von Jahn, Roland

Der aus der DDR vertriebene Friedensaktivist Roland Jahn über die „Jenaer Szene“ (II) Die Schilderung des Friedensaktivisten Roland Jahn über seinen Rausschmiß aus der DDR im letzten SPIEGEL zeigte Wirkung: Am Dienstag vergangener Woche veröffentlichte das Ost-Berliner Außenministerium ein Schreiben Jahns, in dem er – damals in Gera noch in Haft – um die Entlassung aus der DDR-Staatsbürgerschaft bat. Im zweiten Teil seines Tonbandprotokolls schildert der Transportarbeiter, wie er zu dem Antrag genötigt wurde und wie der Druck von oben zur Gründung der Jenaer Friedensgemeinschaft führte. *

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http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=14018844&aref=image036/2006/06/13/cq-sp198302600680077.pdf&thumb=false

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Am 1. September 1982 haben sie mich morgens auf dem Weg zur Arbeit festgenommen, weil ich mit meiner Polen-Flagge am Fahrrad durch Jena geradelt war. Bei der Stasi in Gera, wo sie mich hinbrachten, begrüßte man mich hämisch: „Tja, diesmal hat“s geklappt.“

Mir war klar, daß sie mich nicht nur wegen der Fahne hopsgenommen hatten. Angebliche „Mißachtung staatlicher Symbole“, das konnte für eine Verurteilung nicht ausreichen. Dachte ich damals noch. Trotzdem dauerte die Untersuchungshaft in Gera volle fünf Monate. Ich war denen lästig geworden und mußte von der Bildfläche verschwinden.

Es ging ihnen darum, all jenen, die sich in Jena auflehnten, zu zeigen, wer die Macht hat. Der wirkliche Adressat der Drohung war die Friedensbewegung.

Viele hatten sie schon durch Diskriminierung und Einschüchterung in den Westen vertrieben. Wenn das nicht reichte, sperrte man sie ein und drängte sie, einen Ausreiseantrag zu unterschreiben.

So einfach wollte ich es den Herren nicht machen und verweigerte von Anfang an die Aussage zur Sache. Immer wieder löcherten sie mich während der U-Haft, so daß ich ihnen schließlich vorschlug: „Schafft euch doch einen Stempel “Aussage verweigert“ an.“

Mit der Zeit wurden die Vernehmungen subtiler. Nebenbei ließen sie einfließen, ich würde meine dreijährige Tochter Lina erst zur Schuleinführung wiedersehen, wenn das so weiterginge. Oder sie zogen meinen Freund Frank Rub rein. Auf den hatten sie es schon lange abgesehen; er lief aber immer noch frei rum. „Was denken Sie, was dessen Frau sagt, wenn wir ihn holen? Die hat nicht nur ein Kind, wie Sie, die hat drei. Dem hacken wir die Beine spitz. Und Sie sind schuld dran. Wollen Sie das?“ So ging das die ganze Zeit, so was kann schon mürbe machen.

In solchen Situationen kommen dann die Zweifel. Vielleicht solltest du doch reden. Vielleicht holen sie die anderen ja wirklich. Du überlegst, ob du mit deinem Verhalten tatsächlich Freunde reinziehst und daß du es nicht mehr verantworten kannst. Doch in Wahrheit gibt es nur eins: Bei der eingeschlagenen Linie bleiben, denn ob du was sagst oder nicht – wenn sie die andern holen wollen, holen sie die auch.

Dem Chefvernehmer in Gera – wir nannten ihn nur den Lächler, weil er versuchte, alles zu überlächeln, vor allem seine Schwächen – habe ich einmal gesagt, er solle fünf Minuten vor dem Einschlafen an mich denken. Er solle sich fragen, was er da eigentlich treibe und ob er das seinen Kindern gegenüber verantworten könne. Denn ich wäre eines Tages draußen, und dann gäbe es einiges zu erzählen. Irgendwann würden die Kinder alles erfahren und fragen: Was habt ihr da gemacht, was war das? Und dann könnte er seinen Kindern nicht in die Augen schauen.

Ja, und da hat auch der Lächler für einen kurzen Augenblick nicht mehr gelächelt. Irgendwie brauchte ich solche Momente des persönlichen Triumphs, um durchzuhalten, denn ich saß ja die ganze Zeit über in Isolationshaft.

Ich lehnte auch ab, während der U-Haft Häftlingskleidung zu tragen, weil es dafür keine Vorschrift gibt. So lief ich als einziger in Zivil rum, mit einer ziemlich zerschlissenen Jeans. Auf all das, was einem im nachhinein vielleicht läppisch _(Demonstrationszug der unabhängigen ) _(Friedensgruppen am 19. Mai in Jena. )

erscheint, bist du in einer solchen Situation angewiesen: Ganz klein haben sie dich nicht gekriegt, sagst du dir. Ein Rest von Selbstbewußtsein ist noch da. Wenn nicht, gehst du unter, ganz schnell.

Bis dahin wußte ich: Deine Freunde sind da, du bist nicht allein. Das gab mir Halt. Dann aber holten sie zum entscheidenden Schlag aus. Bei der Vernehmung wurden sie massiv: „Herr Jahn, wir ziehen jetzt den Schlußstrich in Jena. Ihre Freunde sind verhaftet, und alle werden irgendwann in den Westen gehen. Sie sind allein.“ Und dann: „Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft denn vor? Für Sie gibt es hier keine.“

Das war noch nicht der Höhepunkt. Es folgte bald ein absurdes Schauspiel. Am 23. Dezember 1982 erhielt ich endlich die Anklageschrift. Einen Tag später durfte ich meinen Anwalt zum erstenmal sprechen, einen gewissen Herrn Volkmann, der mich als Unteranwalt des im Westen bekannten Juristen Dr. Vogel verteidigen sollte. Ich merkte aber bald, daß er das Schauspiel der Stasi mitspielte.

Darum entschied ich mich für den Rügener Rechtsanwalt Schnur. Die DDR-Justiz schneidet ihn. Nur wenige DDR-Anwälte kümmern sich um solche unattraktiven Fälle wie meinen. Das ist der Karriere abträglich.

Anwalt Schnur hielt vor Gericht ein hervorragendes Plädoyer, obwohl er es ja nicht leicht hatte mit mir, denn ich legte es drauf an, die Gerichtsverhandlung zur Farce werden zu lassen.

Einer der Anklagepunkte hieß: Verstoß gegen Paragraph 220: „Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung“.

Das kam so: Am 1. Mai 1982 hatte ich mich im Gesicht besonders geschminkt. Manche meinten, links sähe ich aus wie Hitler, rechts wie Stalin. Und so war ich in der ganzen Stadt herumgelaufen. Jetzt, kurz vor dem Prozeß, ahnten die wohl was voraus, weil ich mich geweigert hatte, meinen Schnurrbart zu rasieren. Eines Tages holten sie mich und brachten mich in eine Dunkelzelle. Dann hieß es: Herr Jahn, der Bart kommt jetzt ab.

Es gab aber keine Vorschrift, wonach ich mich hätte rasieren müssen. Ich schüttelte bloß den Kopf. Da stürzten sechs oder sieben Mann in die Zelle und packten mich. Natürlich habe ich gezappelt. Einer drückte mich von hinten, die Luft war weg und ich auch. Als ich zu mir kam, war der Bart ab.

Mich hat die Szene richtig erschüttert, den ganzen Tag war ich fix und alle. Sie hatten zum erstenmal Gewalt angewendet, nur um die Absurdität der Anklage zu verschleiern. Jetzt merkte ich: Die sind zu allem fähig.

Aber dann passierte ihnen doch eine Panne. Ich hatte meiner Mutter geschrieben, zum Prozeß wollte ich der Würde des Gerichts entsprechend auftreten, und dazu brauchte ich mein kleinkariertes Jackett, den roten Binder und die graue Hose: Genau die Kleidung, mit der ich am 1. Mai in der Stadt herumgelaufen war und weswegen ich jetzt verurteilt werden sollte. Die Kleider wurden anstandslos an mich abgeliefert.

Am 17. Januar war der Prozeß. Der Rias berichtete, wie ich später hörte, vom Verhandlungsbeginn. In Gera rechneten die Behörden offenbar mit Zwischenfällen. Der Prozeß wurde zwar als öffentlich deklariert, aber außer Stasi-Leuten kam keiner in den Saal, weder Freundin noch Mutter noch Bekannte.

Alle waren ziemlich nervös. und so fiel erst im Gerichtssaal auf, daß ich genauso aussah wie am 1. Mai 1982, nur der Schnurrbart fehlte.

Auf die Vorwürfe des Vorsitzenden antwortete ich ihm, ich könne an meinem Aussehen nichts Anstößiges finden. Links sähe ich halt aus wie Charlie Chaplin und rechts wie Maxim Gorki.

Für Chaplin/Gorki und für das Herumradeln mit einer Polen-Flagge (Aufschrift in polnisch: Solidarität mit dem polnischen Volk) wurde ich im Namen des Volkes zu einem Jahr und zehn Monaten verknackt.

Das gab mir den Rest. Jetzt hatten sie mich da, wo sie mich schon immer haben wollten. Am 19. Januar 1983, noch in Haft, erklärte ich mich einverstanden, in den Westen zu gehen. Ich schrieb formlos, ich sei zur Auffassung gelangt, „daß die Voraussetzungen für die Entfaltung meiner Persönlichkeit bei der Verwirklichung meiner Sozialismus-Vorstellungen in der DDR nicht gegeben sind. Aus diesem Grund bitte ich freiwillig um die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR und die Ausreise nach Berlin-West“.

Später, als ich wieder draußen war, habe ich dieses Schriftstück bei der Abteilung für Inneres in Jena mündlich für nichtig erklärt. Weil es unter psychischem Druck zustande gekommen war, kann es gar nicht rechtlich verbindlich sein, und so verzichtete ich auf einen schriftlichen Widerruf.

Wie absurd meine Verurteilung und das, was darauf folgte, war, bestätigten _(Mit einem Bild des ausgereisten ) _(DDR-Künstlers Michael Blumhagen am 18. ) _(März in Jena. )

die Behörden indirekt einen Monat später: Wegen guter Führung entließen sie mich vorzeitig aus der Haft.

Die unverhoffte Freilassung gab mir wieder Auftrieb: Du kannst hier doch weitermachen, du mußt nur hartnäckig genug bleiben. Einem Freund, daran erinnere ich mich noch gut, schrieb ich: „Jede Macht hat ihre Grenzen.“

Um zu verstehen, was in der Zwischenzeit passiert war, muß man zurückblenden. Unser Freundeskreis, in dem ich mich bewegte, hatte sich, wie viele andere, mit der Friedensdiskussion beschäftigt. Wir fühlten uns nicht allein von Militarismus und Krieg bedroht, sondern auch von Gewalt- und Machtmißbrauch des Staates.

Das letztere bekamen wir besonders beim Tod von Matthias Domaschk zu spüren. Am 10. April 1981 hatten sie Domaschk, den wir Matz nannten, in Jüterbog aus dem Zug nach Berlin geholt. Wegen staatsfeindlicher Kontakte, wie sie das nannten. Am 12. April war Matz tot. Er habe sich in der Zelle an seinem Oberhemd erhängt. behauptete die Stasi. Von uns konnte niemand recht glauben, daß Matz sich selbst umgebracht hatte.

Matz war, wie viele von uns, Mitglied der „Jungen Gemeinde“ in Jena gewesen. Leute, die sich besonders stark an der Friedensdiskussion beteiligten. Der Matz war kein Märtyrertyp. Am allerwenigsten hätte er selbst sich so gesehen. Aber wir wußten, daß kann auch dir irgendwann mal passieren. Deshalb kriegte sein Tod für uns eine besondere Bedeutung.

An seinem ersten Todestag im April 1982 gab ich in der SED-Zeitung „Volkswacht“ und in der „Thüringischen Landeszeitung“ eine Anzeige auf: „Wir gedenken unseres Freundes Matthias Domaschk, der im 24. Jahr aus dem Leben gerissen wurde.“ Unterschrift „Seine Freunde“. Der Text war bewußt doppeldeutig, und die meisten in Jena wußten, was damit gemeint war.

In der Nacht zum 12. April lief ich durch die Stadt und klebte den Text der Domaschk-Todesanzeige an Säulen, Hauswände und Busstationen. An jedem Lichtmast in der Innenstadt pappte so ein Zettel. Früh um zehn begann die Stasi mit dem Abkratzen. Aber dort, wo sie gekratzt haben, gab“s einen kleinen Auflauf, und am nächsten Lichtmast guckten die Leute erst recht, was draufstand.

Meine Freunde hatten am Ostersamstag eine Skulptur des Bildhauers Michael Blumhagen, der auch zu unserem Kreis gehörte, auf dem Johannisfriedhof aufgestellt. Eine schutzsuchende, sitzende Gestalt, die von etwas bedroht wird. Im Sockel eingraviert war Matz“ Name, Geburts- und Todesdatum. Der Stein sollte ein Symbol sein, damit auch Leute von auswärts kommen konnten, um dort Blumen niederzulegen.

Am Ostermontag tauchten die Herren von der Stasi auf und guckten sich die Sache an. Sie wollten den Stein aber nicht selbst abtransportieren, das hätte zuviel Aufsehen erregt. Also machten sie der Kirche Dampf.

Eines Abends, es dämmerte schon, hoben vier Männer den 200 Kilogramm schweren Stein in den Anhänger eines blauen Lada und brachten ihn weg. Was sie nicht wußten: Sie wurden dabei beobachtet. Ich stand im katholischen Altersheim, gleich neben dem Friedhof, hinterm Fenster und photographierte den Abtransport. Irgendwer gab die Bilder in den Westen; sie wurden dann im SPIEGEL veröffentlicht.

Die Sache blieb natürlich nicht ohne Folgen. Viele aus unserem Kreis wurden von der Stasi vorgeladen. Bei einem dieser Verhöre sagte mir einer der Vernehmer den Satz, den ich bis heute nicht vergessen habe: „Du bist wie Gift, Gift gehört in den Giftschrank, und der muß abgeschlossen werden.“

Im Juni wurde Michael Blumhagen, der die Plastik gehauen hatte, kurzfristig und überraschend zu einer Reserveübung eingezogen. Das war natürlich kein Zufall. Er verweigerte, wie er schon vorher angekündigt hatte, den Dienst an der Waffe und kriegte sechs Monate aufgebrummt. Für Reservisten gibt es keinen Ersatzdienst. Das Militär wird als Disziplinierungsinstrument benutzt.

Daß sie ein für alle Male mit dem „Gift“ aufräumen wollten, machten sie bald nach Michaels Verhaftung klar.

Fünf Kilometer außerhalb von Jena stand ein altes Bauernhaus, das Blumhagen seit über fünf Jahren bewohnte und

das ihm der Besitzer zur Nutzung überlassen hatte. Am Wochenende trafen wir uns häufig da draußen, veranstalteten Feten und kleine Ausstellungen und versuchten so “ne Art alternatives Leben auf Zeit zu führen. Doch schon dies galt der Staatssicherheit als Herd der Konterrevolution.

Einen Monat nach Michaels Verhaftung wollten sie das Nest endgültig ausräuchern. Die Baupolizei sperrte das angeblich baufällige Gebäude. Sie brauchten dann Tage, bis sie es abgerissen hatten, es war das zäheste Haus im ganzen Ort.

Im nächsten Frühjahr, zum zweiten Todestag von Matz, wollten sie uns vorbeugend einschüchtern und warnten uns in Verhören, daß sie eine Feier an Matz“ Grab als staatsfeindliche Zusammenrottung ahnden würden. Trotzdem versammelten wir uns am Nachmittag um halb fünf am Johannistor im Zentrum.

Wir waren etwa 50 Leute. Mit Blumensträußen und einem Gebinde „Unserem Freund Matthias Domaschk – unvergessen“ formierten wir einen Trauermarsch.

Viele Leute kamen von der Arbeit und haben gesehen, was da los war. Es gab keinen Auflauf, keine Diskussionen. Jena hat uns einfach wahrgenommen.

Über diese und andere Aktionen brachten die Westmedien, vor allem Radio und Fernsehen, kurze Berichte. Dadurch kamen wir mit unserem Anliegen in viele DDR-Wohnzimmer. Man nahm uns auch außerhalb Jenas zur Kenntnis, und die Stasi mußte sich überlegen, wann sie zupackt.

Das war auch “ne Art Versicherung für uns. Andererseits wurden wir dadurch in den Augen mancher DDR-Oberen erst recht zur Gefahr.

Klar kamen einem auch Bedenken: Im Westen wird ja viel gegen die DDR gehetzt und alles mögliche ausgeschlachtet. Aber ich fand: Warum sollen wir uns abkapseln. Da können wir uns gerade so gut auf einen Bauernhof zurückziehen und Hühner füttern. Wir wollten in die Gesellschaft rein, wir wollten, daß die Bevölkerung Jenas mitkriegt, was läuft, daß die Leute nachdenken.

An der Stelle muß ich erzählen, wie es zu dem kam, was man nun, vor allem im Westen, als Jenaer Szene bezeichnet.

Gemeinschaftserlebnisse haben wir bis dahin hauptsächlich auf zwei Ebenen gesucht. Entweder traf man sich in Wohnungen, im kleinen Kreis, oder man veranstaltete Feten, Wanderungen oder Lesungen, an denen oft bis zu hundert Leute teilnahmen. Manche fanden auch unter der Obhut der Kirche statt.

Da gab“s so eine Art Flüsterpropaganda, was wann wo stattfand auch außerhalb von Jena, und dann ging oder fuhr man einfach hin und diskutierte mit Gleichgesinnten.

Bei uns in Jena war das mit den kirchlichen Veranstaltungen allerdings heikel. Offiziell fand die offene Jugendarbeit, an der sich jeder beteiligen konnte, im Rahmen der „Jungen Gemeinde“ statt. Mir galt die „JG“ immer als eine Art Forum, wo man seine Gedanken und Erfahrungen austauschen konnte.

Der Haken war, daß der Superintendent, der für alle Gemeinden der Stadt Jena zuständig ist, die Vorbereitung solcher „JG-Abende“ kontrollierte. Er wollte immer vorher wissen, worüber gesprochen wurde. Die Vorträge mußte man praktisch zensieren lassen. Ein Gottesdienst zum 37. Jahrestag der Bombardierung Jenas wurde sogar von vornherein abgelehnt.

Ich selbst habe ja nie so direkt in der Kirche dringestanden, nur zu den „Werkstätten“ bin ich gegangen. Das sind Veranstaltungen mit Liederabenden, Ausstellungen und Diskussionen, oft waren zusätzlich Photos und Gedichte an den Wänden aufgehängt. Ja, und in Jena kam zuweilen der Jugendpfarrer und tippte auf dieses oder jenes Gedicht und sagte: Das muß runter.

Die Kirchenleitung hatte Angst vor Konflikten. „Wir sind kein Sprachrohr“, sagten sie, und „wir lassen uns nicht als Podium für politische Ziele benutzen“. Daraufhin haben sich viele von der „JG“ abgewendet und außerhalb der Kirche zusammengefunden. Zum Beispiel in einem Kreis von Leuten, die sich mit Militärfragen beschäftigten.

Viele von uns hatten Probleme mit dem Wehrdienst, und dort konnten sie gemeinsam mit anderen nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Das heißt nicht, daß man gleich total auf Verweigerung machte.

Wichtig war erst mal die Information, vor allem über den Wehrersatzdienst als Bausoldat. Oder man überlegte, was zu tun ist, wenn einer aus familiären Gründen den Militärdienst zu einem späteren Zeitpunkt ableisten wollte. Das sind Dinge, die man in der DDR nicht irgendwo abfragen kann. Da muß man sich selbst drum kümmern.

Aus dieser Gruppe kam auch die Idee mit der ersten Schweigeminute am 14. November 1982. Ich selbst saß zu dem Zeitpunkt im Knast, kenne diese Veranstaltung also nur vom Hörensagen.

Nachmittags, so gegen fünf Uhr, versammelten sich rund 70 junge Leute auf dem Zentralen Platz in Jena, dem „Platz

der Kosmonauten“, wie er jetzt heißt. Sie standen einfach nur da, die Gesichter nach außen gewandt, mit Schildern, auf denen „Frieden“ prangte, und schwiegen. Das war einfach eine Aufforderung zum Nachdenken, aber schon dies ging an die Grenze dessen, was die Staatsmacht duldet.

Bald ergaben sich Gespräche mit Passanten, bildeten sich kleinere Diskussionsgrüppchen. Polizei und Stasi haben überhaupt nichts mitbekommen, weil alles kurzfristig organisiert worden war.

Für uns ein wichtiges Datum: Die Jenaer Friedensbewegung trat erstmals außerhalb der Kirche öffentlich in Erscheinung.

Bei der zweiten Schweigeminute am 24. Dezember – ich konnte wieder nicht mitmachen – lief es nicht mehr so glimpflich ab. Die Polizei hatte frühzeitig Wind davon bekommen und nahm ein paar von uns in Vorbeugehaft.

Hunderte von Bereitschaftspolizisten riegelten am Heiligabend die Stadt ab, keiner von auswärts durfte mehr rein. Einigen, die in der Innenstadt wohnten, gelang es trotzdem, auf den Zentralen Platz durchzukommen. Dort wurden sie von Stasi-Mitarbeitern in Zivil weggerempelt.

Man muß sich das mal vorstellen: Auf einem riesengroßen Platz, wo niemand dem anderen im Wege ist, werden Leute abgedrängt und angeherrscht: „Was wollt ihr hier, geht weg.“ Auch die Zufahrtsstraßen nach Jena hatten sie abgesperrt, weil sie glaubten, es würde ein ganz großes Ding steigen.

Mit ihrer Machtdemonstration hatte die Obrigkeit wieder einmal unnötig für Aufregung gesorgt und damit die Jenaer Friedensgemeinschaft noch enger zusammengeschweißt. Denn je massiver der Druck durch die Staatssicherheit wurde, die hinter jeder Aktion einen Akt von Landesverrat witterte, desto enger rückten die bislang noch recht versprengten Freundeskreise zusammen.

Die thüringische Landeskirche machte das Gegenteil: Sie ging auf Distanz. Das fing damit an, daß sie sich von der Schweigeminute zu Weihnachten öffentlich distanzierte. In einer Mitteilung der kirchlichen Pressestelle an in der DDR akkreditierte West-Korrespondenten hieß es, daß die Kirche mit der Aktion am 24. Dezember nichts zu tun habe und daß die Journalisten Informationen, die von ausgereisten ehemaligen Jenaern in West-Berlin kämen, mit Vorsicht behandeln sollten. Das hat uns den Pastoren nicht unbedingt nähergebracht.

Und dann war da auch noch dieser Mitarbeiter der „Jungen Gemeinde“, von dem sich herausstellte, daß er ein Stasi-Spitzel war. Der war etwa 29, so alt wie ich, und hat den Leuten von der Staatssicherheit immer brühwarm erzählt, was im Rahmen der „Jungen Gemeinde“ geplant war. Einer hat mal gesagt: „Wenn du willst, daß sich was verbreitet, geh in die Junge Gemeinde und erzähl es dort.“ Obwohl die Kirche davon wußte, unternahm sie nichts. Das haben ihr einige sehr übelgenommen.

Als dann im Januar “83 rund ein Dutzend besonders aktiver Jenaer verhaftet wurde, verschlechterte sich das Verhältnis zur örtlichen Kirche weiter.

Überall im Land, ob in Berlin-Brandenburg oder in Mecklenburg, wurde in den Gottesdiensten über die inhaftierten Jenaer gesprochen, um zu zeigen, daß man sie nicht allein ließ – nur nicht in Thüringen, nicht in Jena, das war das Makabre.

Daß Ende Februar fast alle vorzeitig aus der Haft entlassen wurden, ist, glaube ich, vor allem der Solidarität innerhalb der Friedensbewegung zu verdanken. Auch Mitglieder der bundesdeutschen Grünen, etwa Gert Bastian oder Petra Kelly, setzten sich für uns ein, die West-Berliner Alternative Liste intervenierte sogar direkt bei Staats- und Parteichef Honecker.

Anfang März haben wir, die entlassenen Inhaftierten und andere, einen Versuch unternommen, mit der Kirche ins reine zu kommen.

Schon länger war ein Gespräch mit dem Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, Werner Leich, geplant. Am 1. März klappte es dann. Wir sagten ihm ganz offen, daß wir uns schutzbedürftig fühlten und daß wir die Kirche bitten, uns Möglichkeiten für

unsere künftige Arbeit zur Verfügung zu stellen.

Der Bischof lehnte ab. Er verdammte schon den Begriff „Friedenskreis“, den wir gebrauchten. Man könne sich zwar in der Kirche engagieren, sagte er, doch nur in der Form, wie die Kirche sie vorschreibt. Und Nichtchristen könnten ohnehin keine tragende Rolle spielen.

Während eines ökumenischen Gesprächsforums beim Evangelischen Kirchentag in Frankfurt/Oder vorletzte Woche versprach die Kirche nun aber immerhin, sich bei den Staatsorganen für mich einzusetzen. Ein Sprecher kritisierte sogar, wenn auch diplomatisch sehr verbrämt, daß die Umstände meiner Abschiebung „die Freiwilligkeit etwas fragwürdig erscheinen lassen“.

Bei vielen von uns führte die übervorsichtige Haltung der Kirche in Thüringen zum Bruch und gab bei manchen den entscheidenden Anstoß auszureisen. Von der Kirche konnten wir keinen Schutz mehr erwarten. Irgendwo hatten wir durch unsere Freilassung in der Hoffnung gelebt, daß alles leichter werden würde. Und nun trugen manche Kirchenoberen das Ihre bei, daß die Leute resignierten und weggingen. Das war bitter.

Damals im März entschieden wir uns, schon aus Gründen des Selbstschutzes, enger zusammenzurücken. Um das auch nach außen hin deutlich zu machen, nannten wir uns jetzt „Friedensgemeinschaft Jena“. Das war das Einmalige, daß sich in der DDR eine Gruppe von Menschen zusammenfindet und sagt: Hier sind wir, und das wollen wir, und damit an die Öffentlichkeit tritt.

Insgesamt zählte die Friedensgemeinschaft rund 30 Mitglieder, knapp ein Drittel davon stammte aus dem Kreis der ehemaligen Inhaftierten.

Um unseren Standort zu bestimmen, formulierten wir ein Papier, in dem wir unsere Konzeption umrissen. Das Motto hieß: Frieden ist für uns kein fernes Endziel, sondern Geschehen, lebbar, hier und jetzt.

Unseren nächsten öffentlichen Auftritt planten wir für den 18. März. Wir meldeten – ganz offiziell – und erstmals unter der Bezeichnung „Jenaer Friedensgemeinschaft“ beim Stadtrat und bei der Polizei die öffentliche Abhaltung einer Gedenkminute an zum 38. Jahrestag der Bombardierung Jenas. Am nächsten Tag kam die Absage. Begründung: Am 18. gebe es schon eine Veranstaltung. „Das stört uns überhaupt nicht“, hielten wir gegen, „dann machen wir es eben am 19.“ Der Termin sei auch schon besetzt, behaupteten sie schnell, an dem Tag sei eine andere Veranstaltung in der Innenstadt geplant.

Wir hielten das für eine Ausrede. Um den äußeren Schein zu wahren, stampften sie innerhalb von drei Tagen eine Mauer mit einer neuen Gedenktafel am Marktplatz aus dem Boden, ganz ungünstig gelegen, zwischen Zeitungskiosk und Freiluftkneipe.

Die Privatfirma, die das machte, hatte eigentlich andere Aufträge. Die mußte sie sausenlassen, um die Mauer mit der Gedenktafel hochzuziehen. Vor diesem Denkmal, teilte man uns mit, würde am 19. eine Kranzniederlegung stattfinden. Damit hoffte man, uns ruhigzustellen.

Wir beschlossen aber, uns an der offiziellen Veranstaltung am 18. zu beteiligen und malten eigene Plakate zu dem Ereignis mit Losungen wie zum Beispiel „Verzichtet auf Gewalt“, „Ohne Frieden keine Zukunft“. Andere schrieben „Militarismus raus aus unserem Leben“ auf ihr Schild oder „Kauft kein Kriegsspielzeug“.

Gestartet sind wir vom Johannistor aus. Die knapp 400 Meter bis zum Marktplatz liefen wir durch die Johannisstraße, eine Fußgängerzone mit vielen Geschäften. Den rund 30 Leuten unserer Friedensgemeinschaft schlossen sich spontan Passanten an.

Auf dem Marktplatz hatten sich etwa zehntausend Menschen versammelt, darunter jede Menge bestellter Jubler aus Schulen und Betrieben. Um uns herum bildete sich ein Spalier von Ordnern, um unsere Gruppe von den andern abzutrennen. Einen Zuschauer hörte ich wispern: „Wenn das nur gutgeht.“

Andere sagten: Aha, das sind doch die, die im Gefängnis waren. Ja, und dann ging“s auch schon los mit den Rempeleien. Wir wurden gestoßen von Leuten, die Volkszorn spielten, alles Angestellte der Stasi und anderer staatlicher Stellen, auch viele Lehrer waren dabei. Die Situation war deswegen besonders schlimm, weil wir mit Kindern da waren und nur wenige Leute uns halfen, indem sie versuchten, uns abzuschirmen. Mit brutaler Gewalt entriß man uns die Plakate und zertrümmerte sie. Fluchtartig verließen wir die Kundgebung.

Am nächsten Tag, dem 19. März, ließen wir die Kinder zu Hause. Wir hatten einen Kranz bestellt mit der Aufschrift „Jenaer Friedensgemeinschaft“ _(Mitglieder der Friedensgemeinschaft bei ) _(der Gedenkfeier zum 38. Jahrestag der ) _(Bombardierung Jenas am 19. März. )

und den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ draufgeklebt.

Mit einer Delegation von zehn, zwölf Mann marschierten wir am Ende des offiziellen Trauerzuges zur Kranzniederlegung an der neuen Gedenktafel. Plötzlich keilten uns etwa 50 Mann von allen Seiten ein. Kaum hatten wir unseren Kranz niedergelegt, sprang einer von ihnen aus dem Zug hervor und drehte die Schleife um, damit man die Aufschrift nicht mehr lesen konnte. Da bin ich nach vorn und hab“ sie wieder umgedreht, und so ging das ein paarmal hin und her, bis die Schleife ganz zerfleddert war und abriß.

Eigentlich wollten wir nur eine Minute schweigend verharren, doch wir wurden sofort abgedrängt. Deshalb warteten wir, bis die Teilnehmer der Kranzniederlegung gegangen waren, und sammelten uns dann erneut zu unserer Gedenkminute. Etwa hundert Mann der Stasi, von der Partei und vom Rat der Stadt, blieben mit uns im strömenden Regen stehen, weil sie dachten, es läge noch etwas in der Luft.

Das war eine prickelnde Stimmung. Einer der Offiziellen postierte sich gleich neben uns und raunzte: „Euch Galgenvögel hau“n wir eins auf die Schnauze.“

Statt dessen haben wir sie zu einer Schweigestunde gezwungen.

Über die Vorfälle am 18. berichtete später sogar die westdeutsche Tagesschau, die damit versuchte, die bundesdeutschen Ostermärsche in ein schiefes Licht zu rücken. Unglücklicherweise erwähnte sie, daß einige von uns Ausreiseanträge gestellt hätten. Das brachte die schon lange schwelende Ausreisediskussion in unserer Gruppe erst so richtig in Schwung.

Einige, speziell Vertreter der Kirche, warfen uns vor, wir würden nur spektakulär auftreten, um billig ein Ticket in den Westen zu bekommen. Doch ich wußte, daß alle, die sich mit Ausreisegedanken beschäftigten, keineswegs mit wehenden Fahnen in den Westen ziehen wollten. Im Gegenteil: Es war das Ende eines langen Vertreibungsprozesses, besonders nach der Haft und der Absage der Kirche sahen viele in der DDR keine Lebensperspektive mehr.

Später, nach der groß angelegten Ausreiseaktion um Pfingsten, bestand dann tatsächlich die Gefahr, daß Trittbrettfahrer zu uns stießen. Wir konnten denen doch nicht das Recht absprechen, sich für den Frieden einzusetzen. Aber wir wurden sauer, als wir merkten, daß Leute versuchten, sich uns anzuschließen, denen jedes Mittel recht wäre, in den Westen zu gelangen, und die sich auch für das Gegenteil unserer Ideen eingesetzt hätten. Die Trittbrettfahrer waren schuld daran, daß es zum Beispiel bei Zeiss hieß: „Wenn de in den Westen willst, brauchste nur ein Plakat hochzuhalten, und schon geht“s los.“

Ich finde es schade, daß gerade Leute wie der Liedermacher Peter Kähler gingen, weil es wichtig ist, Leute zu haben, die in den verschiedensten Bereichen aktiv sind, um so möglichst viele anzusprechen.

Einer von uns, der mehr graphische Sachen machte, hatte zum Beispiel so ein Zeichen entworfen „Atomwaffenfreie Zone“ mit dem Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ in der Mitte. Dieser Aufkleber ging in ganz Jena rum, pappte irgendwo in der Wohnung, am Auto oder am Fahrrad.

Das war legitim, weil Honecker ja den Vorschlag unterstützte. Auch in anderen Städten haben wir das Motiv verteilt, es wurde kopiert, vergrößert, in Ost-Berlin haben sie es sogar zu den Kasernen der Sowjet-Armee gebracht.

Wir reisten zu dieser Zeit viel in anderen Städten herum, etwa in Berlin, Dresden und Halle, beteiligten uns an Ausstellungen und Lesungen in Privatwohnungen und zeigten Dokumentationen über unsere Aktionen.

Diese Kontakte waren wichtig zur Verständigung, denn einige Gruppen in anderen Städten, die jahrelang in ihrer Gemeinde, innerhalb der Kirche oder privater Freundeskreise ebenso aktiv alternative Friedensarbeit geleistet hatten wie wir, fühlten sich zurückgesetzt, weil Jena zum Begriff geworden war. Einerseits wurden wir bewundert, weil wir den Mut gehabt hatten, an die Öffentlichkeit zu treten. Andererseits warf man uns vor, wir wollten uns nur aufspielen. Die Keimzelle der Friedensbewegung war Jena aber nie gewesen. Wir hatten nur neue Formen gefunden, unser Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen.

Neuerdings stellte sich sogar die Staatssicherheit darauf ein. Seit den Vorfällen am 18. und 19. März hielt sie sich spürbar zurück. Man versuchte eine neue Taktik einzuschlagen, scheinbar auf uns einzugehen, um uns so unter Kontrolle zu halten.

Am Pfingsttreffen der Freien Deutschen Jugend in Jena am 19. Mai durften wir sogar halboffiziell teilnehmen. Vom Johannistor aus eskortierte uns ein Haufen Stasis zum Zentralen Platz. „Ihr seid der Marschblock fünf“, wurde mir erklärt, und wir sollten uns irgendwo weit hinten hinstellen. „Schon recht“, sagten wir und gingen trotzdem bis direkt vor die Tribüne.

Über Lautsprecher wurden wir begrüßt, und ein FDJ-Funktionär von der Universität begann gegen unsere Plakate „Schwerter zu Pflugscharen“ zu agitieren. Er las einen vorbereiteten Text vom Blatt: Man hatte sich vorher auf uns eingestellt und wollte uns nun öffentlich bloßstellen.

„Wenn ihr diskutieren wollt“, forderte der Redner uns großspurig auf, „kommt her.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Man gab mir das Mikrophon in die Hand. Es war eine irrsinnige Situation: Du weißt, sie können es dir jeden Moment wegnehmen, du mußt jetzt ganz schnell was Plakatives, Einprägsames sagen.

Und dann fiel mir diese Radiosendung ein von „Radio Moskau“, und ich schrie über den Platz: „Schwerter zu Pflugscharen, das Gebot der Stunde für alle Völker, so hat Radio Moskau am 15. Mai 1982 um 21.00 Uhr gefordert.“ Dann brachte ich immer nur offizielle Losungen, etwa „Wir schließen uns dem Vorschlag Erich Honeckers an auf Gewaltverzicht“, um zu verdeutlichen, daß die Regierungslosungen und unsere im Grunde genommen identisch sind.

Als ich den Leuten zurief: „Wir lassen uns nicht verbieten, unsere eigenen Gedanken zum Frieden zu äußern“, entriß man mir das Mikrophon. Mal wieder war die Grenze des Möglichen erreicht.

Inzwischen hatten einige besonders aktive FDJler mit ihren überdimensionalen Plakaten unsere Truppe mit ihren kleinen Pappschildern und Transparenten so eingekreist, daß sie überhaupt nicht mehr zu sehen waren.

Als ich mit meinem Plakat von der Tribüne herabkletterte, ging plötzlich diese Rempelei wieder los. Man riß mir mein Plakat herunter, ich kriegte ein paar aufs Gesicht. Da eilten meine Freunde herbei, und prompt gab“s ein Handgemenge, bis plötzlich ein paar Sicherheitsleute Zeichen gaben aufzuhören. „Das könnt ihr doch nicht machen“, hörte ich sie rufen. „Ihr seid wohl verrückt!“ Die Devise lautete offenbar, uns in Ruhe zu lassen.

Dann passierte etwas völlig Neues: Überall auf dem Platz wurde diskutiert, viele FDJler sympathisierten plötzlich mit uns, wir spürten, daß etwas in Bewegung geriet. Wir fühlten uns als Sieger.

Meine gewaltsame Abschiebung am 8. Juni war denn auch alles andere als ein Akt der Stärke. Sie war die Bankrott-Erklärung der DDR-Behörden, mit der sie ihre Hilflosigkeit und Unglaubwürdigkeit demonstrierten. Daß sie sich eine noch größere Blöße geben würden, hätte ich nicht für möglich gehalten – ich wurde eines Besseren belehrt.

Bei der Auflösung meiner Jenaer Wohnung weigerten sich die Jenaer Behörden, meinen Eltern die verbliebenen Wertgegenstände auszuhändigen. Der Grund: Sie wollten die Sachen versteigern, um wenigstens einen Teil der Kosten zu decken, die ihnen bei der „Aktion Jahn“ entstanden waren. _(Bei der Übergabe einer Petition an den ) _(Uno-Generalsekretär am 13. Juni in ) _(West-Berlin. )

Demonstrationszug der unabhängigen Friedensgruppen am 19. Mai in Jena. Mit einem Bild des ausgereisten DDR-Künstlers Michael Blumhagen am 18. März in Jena. Mitglieder der Friedensgemeinschaft bei der Gedenkfeier zum 38. Jahrestag der Bombardierung Jenas am 19. März. Bei der Übergabe einer Petition an den Uno-Generalsekretär am 13. Juni in West-Berlin.

Über stasifolteropferadamlauks

I am 72 Years old and I I am still victim of torture in STASI-Prison in former GDR 1982-1985. I never reached Justice and satisfaction by Germany´s goverment after 40 Years injustice ! I am fighting for the implementation § TORTURE in Germany´s national low.
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