DIESTEL…

Hier bleibt jeder für sich

Wegen der jahrelangen Kooperation von Stasi und RAF gerät DDR-Innenminister Diestel unter Druck: Er wird beschuldigt, die Festnahme der einstigen RAF-Täter verzögert zu haben. Ein Teil der geheimnisvollen Stasi-Hauptabteilung XXII, die den RAF-Tätern Unterschlupf verschaffte, ist in Diestels Ministerium untergekommen.

Im sowjetischen Militärkrankenhaus von Beelitz erfuhr Erich Honecker, 77, aus den Rundfunknachrichten, daß die bundesdeutsche Justiz gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung eingeleitet habe.

Sofort erkundigte sich der frühere SED-Generalsekretär, der seit drei Monaten hinter Mauern und Stacheldraht verwahrt wird, am Donnerstag voriger Woche telefonisch bei Ost-Berliner Vertrauten nach seinem künftigen Schicksal: Der einstige antifaschistische Widerstandskämpfer, der unter den Nazis zehn Jahre lang in Haft gesessen hatte, sorgte sich, daß er auf seine alten Tage noch einmal ins Gefängnis gesperrt wird.

Dabei hatte er doch, angeblich, gar nichts gewußt von der Kumpanei seines Stasi-Ministers Erich Mielke, 82, mit der westdeutschen Roten Armee Fraktion (RAF). „Wie jeder andere Bürger“, ließ Honecker am Mittwoch letzter Woche über seinen Ost-Berliner Anwalt Friedrich Wolff verbreiten, „habe ich von der Festnahme mutmaßlicher Terroristen und ihrem Unterschlupf in der DDR erst aus Presse, Rundfunk und Fernsehen erfahren.“

Aus dem Fernsehen erfuhr Honecker vorige Woche auch, daß ihm nicht einmal mehr die alten Getreuen beistehen. Generalleutnant Gerhard Neiber, Mielke-Stellvertreter und als Nachfolger des 1982 verstorbenen Generalobersten Bruno Beater bis zuletzt bei der Stasi Verantwortlicher für die Betreuung der RAF-Altkader, lieferte seine einstigen Chefs in der TV-Sendung „Klartext“ ans Messer: Alles sei von Mielke „zentral“ gesteuert worden, der sich die Entscheidung, „wie es üblich war“, sicherlich von Honecker habe bestätigen lassen.

Auch bei DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel (DSU) packten alte Stasi-Leute aus. Wie es ein „führendes deutsches Presseerzeugnis schon dargestellt hat“, so Diestel mit Hinweis auf den SPIEGEL (25/1990), sei nach diesen Aussagen die Betreuung von bisher insgesamt zehn entdeckten ehemaligen RAF-Mitgliedern eine Art „individuelles Hobby“ von Honecker und Mielke gewesen.

Diestel, dessen Ablösung von der DSU-Volkskammer-Fraktion vor einem Monat wegen laschen Umgangs mit der Stasi-Altlast gefordert wurde, kommt nun erneut in die Bredouille. Schon im Mai habe Diestel, sagen Stasi-Experten, nach dem Eingang einschlägiger Akten in seinem Ministerium über die Aufenthaltsorte der RAF-Leute in der DDR Bescheid gewußt.

Nun muß geklärt werden, ob der Minister sich vor Fraktion und Öffentlichkeit in Szene setzen wollte, indem er die RAF-Asylanten nicht auf einen Schlag, sondern ratenweise präsentiert hat. Auch Diestel, mit den Vorwürfen konfrontiert, gehört plötzlich zu den Ahnungslosen: „Nach meinen Informationen sind die Erkenntnisse durch harte kriminalistische Arbeit zustande gekommen.“

Bis dahin hatten westdeutsche Fahnder fast zehn Jahre lang im dunkeln getappt; sie wähnten die Täter des blutigen „Deutschen Herbstes“ 1977 vor allem im Nahen Osten. Die zweite RAF-Generation nach Ulrike Meinhof schlüpfte peu a peu in die Tarnung angepaßter DDR-Bürger und resozialisierte sich im realen Sozialismus.

Susanne Albrecht alias Ingrid Jäger, gesucht wegen ihrer Beteiligung am Attentat auf den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto 1977, tauchte zunächst als angebliche Technische Assistentin in Cottbus ab; Inge Viett, 46, gesucht unter anderem wegen Beteiligung an der Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann 1974, fand als Reprofotografin zuerst in Dresden, dann in Magdeburg Unterschlupf.

Werner Lotze, 38, der 1978 an der Ermordung eines Polizisten bei Dortmund beteiligt gewesen sein soll, und Christine Dümlein, 41, gesucht wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und nach Verjährung ihres Haftbefehls wieder auf freiem Fuß, wurden Anfang der achtziger Jahre im Braunkohlerevier der Niederlausitz eingebürgert. Das Paar hieß fortan Manfred und Katharina Jansen. Sie arbeitete als Sekretärin, er schaffte als Kraftfahrer und Schichtleiter im Senftenberger Synthesewerk Schwarzheide.

Sigrid Sternebeck, 41, gesucht wegen angeblicher Beteiligung an der Ermordung eines US-Soldaten 1985, schlüpfte 1980 in Schwedt unter. Sie nannte sich Ulrike Eildberg, ihr Ehemann, angeblicher Vorname Jürgen, ist in Wirklichkeit Baptist Ralf Friedrich, 43, aus Landsweiler. Nach dem früheren Bürogehilfen des damaligen Stuttgarter Terroristenanwalts Klaus Croissant wurde wegen Verdachts der RAF-Mitgliedschaft gefahndet, auch er wurde wegen Verjährung freigelassen.

Auf Geheiß der Stasi-Kreisverwaltung hatte der damalige Schwedter SED-Funktionär Detlef Klose, leitender Mann in der Abteilung Inneres und späterer Oberbürgermeister, die Integration organisiert. Die vertrauliche Stasi-Legende für Klose: Das Ehepaar sei „in der DKP gewesen und wolle nun gerne in der DDR leben und hier seine politischen Ziele weiterverfolgen“. Sigrid Sternebeck wurde als Fotolaborantin im örtlichen Dienstleistungskombinat untergebracht; Partner Friedrich, nach dem die Westdeutschen eifrig auf dem Peloponnes fahndeten, arbeitete im Papier- und Kartonkombinat.

Ähnlich grau war die Hülle, mit der sich Henning Beer, 31, und Silke Maier-Witt, 40, tarnten, bis sie am Montag letzter Woche in Neubrandenburg verhaftet wurden. Beer, gesucht unter anderem wegen Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag in Ramstein 1981, lebte als Dieter Lenz mit seiner Frau Susanne in einer Zwei-Raum-Wohnung im zweiten Stock der Traberallee 6, einem tristen Neubaublock des Viertels Reitbahn.

Der nach seinem DDR-Ausweis (Nummer D 0583583) am 5. Juni 1960 in Madrid geborene Beer alias Lenz arbeitete als Verbindungsmann zwischen den einzelnen Schichten im VEB Geothermie. Monatsgehalt: 1400 Mark.

Silke Maier-Witt, gesucht wegen Beteiligung an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer 1977, wurde mit Stasi-Hilfe in den Pharmabetrieb Neubrandenburg eingeschleust und war, natürlich, in der SED-Gruppe aktiv.

Auch der Arzt Ekkehard Freiherr von Seckendorff-Gudent, 49, als einstiger Sanitäter der RAF gesucht, und die mit ihm verheiratete Monika Helbing, 36, verfolgt wegen Beteiligung im Fall Schleyer, betätigten sich in ihrem neuen Domizil Frankfurt/Oder politisch.

Für die Gefälligkeit, die der Ost-Staat mit der Einbürgerung der Übersiedler auch den palästinensischen RAF-Verbündeten im Nahen Osten erwies, liefen Honecker und Mielke ein hohes politisches Risiko: Wäre die Verbindung Stasi & RAF beizeiten aufgeflogen, hätte es wohl kaum einen Milliardenkredit durch Vermittlung von Franz Josef Strauß gegeben, der zeitweise oben auf der RAF-Abschußliste stand, wäre der SED-Chef nie bis nach Bonn gekommen, wäre der Zusammenbruch der deutsch-deutschen Beziehungen unvermeidlich gewesen.

Mit dem Dauerasyl für die ausgepowerte RAF-Truppe, vermutet Diestel, habe die DDR-Führung gehofft, sich selber Schutz vor terroristischen Anschlägen zu schaffen. Die DDR-Führung habe mit der Entsorgung einer RAF-Altlast, so Neiber, auch der Bundesrepublik einen Dienst erwiesen.

Bedingung für die Aufnahme der international gesuchten mutmaßlichen Terroristen, behauptet Neiber, sei der Verzicht auf jegliche Gewalt und jeden Kontakt mit den nachwachsenden Gesinnungsgenossen im Westen gewesen. Ziel der Aktion war es, laut Neiber, „den Terrorismus zu bekämpfen“ und Täter „aus der RAF herauszubrechen“ – die Stasi, dein Freund und Helfer.

Für die Abschirmung der Neubürger aus dem Westen sorgte seit 1980 eine Mielke-Truppe, die so geheimnisvoll wie mächtig war: die Stasi-Hauptabteilung XXII, offiziell zuständig für „Terrorismusabwehr“, Sitz Berlin-Hohenschönhausen, Ferdinand-Schultze-Straße.

Welche Aufgaben die 543 hauptamtlichen Mitarbeiter und die 460 Spitzel der Hauptabteilung (HA), die zuletzt von Oberst Horst Franz geleitet wurde, zu erledigen hatten, war im „Befehl Nr. 3/89“ und der „Dienstanweisung Nr. 1/81“ Neibers festgelegt.

Danach sollten die Terrorbekämpfer für die „operative Bearbeitung“ und „Überwachung“ von „terroristischen und anderen gewaltorientierten Organisationen“ sorgen, die „gegen die DDR wirksam werden“. Zu ihren Pflichten gehörte auch die Aufklärung von „Androhungen von Terror und anderen Gewaltakten“, die „Feststellung“ von „sprengkörperverdächtigen Gegenständen“, der Schutz gegen Flugzeugentführer und die Ausbildung von Spezialkräften – Fallschirmspringer, Taucher, Sprengmeister und Nahkämpfer inklusive.

Der HA XXII, die sich in elf Abteilungen und mehrere Referate gliederte, unterstanden militärisch geführte Einsatzgruppen, die auf die Abwehr von Geiselnahmen und Entführungen gedrillt waren. Ihren wohl spektakulärsten öffentlichen Auftritt hatte die Elite-Einheit 1982, als vier Häftlinge aus dem Gefängnis in Frankfurt an der Oder ausbrachen, einen Polizisten erschossen und mit einer Geiselnahme ihre Ausreise in den Westen erzwingen wollten. Ein ehemaliger Angehöriger der Truppe: „Wir waren die GSG 9 der DDR.“

Auf einem 50 Hektar großen Areal in Wartin nahe Prenzlau übten die Spezialisten nach dem Vorbild der westdeutschen Grenzschutzgruppe 9 alles, was beim Einsatz gegen Terroristen gefragt ist: Scharfschießen und Geiselbefreiung, Panzerknacken und Autocrashs. Sogar die Attrappe eines Verkehrsflugzeugs stand für Probe-Aktionen parat – Mogadischu im märkischen Sand.

Bei den niederen Rängen der Einheit, die nun nach und nach bei Sondertruppen der Volkspolizei wieder nutzbar gemacht werden sollen, war nach deren Angaben nichts über die Stasi/RAF-Kooperation bekannt. Für die Betreuung der RAF-Kader sorgte die 40 Mann starke Abteilung 8, die nach den Dienstanweisungen zuständig war für die „operative Bearbeitung linksextremistisch-terroristischer Organisationen, Gruppen und Kräfte sowie des Internationalen Terrorismus“.

In Wahrheit hatten die Abteilungschefs Helmut Voigt und Horst Pätzold, die bisher noch dem Staatskomitee zur Stasi-Auflösung angehörten, die Verbindung zu den RAF-Übersiedlern zu halten – gegen beide Offiziere eröffneten Ost-Berliner Strafverfolger am Freitag voriger Woche ein Ermittlungsverfahren.

Ihre Abteilung half den international gesuchten RAF-Tätern, sich in der DDR einzurichten, und wachte sorgfältig darüber, daß die Schützlinge Ruhe hielten. „Die mußten“, weiß ein westdeutscher Geheimdienstler, „dafür sorgen, daß da niemand durchknallt“ – und womöglich vor westlichen Fahndern auspackt.

Wie hautnah solche Kontrolle funktionierte, zeigt die Überwachung von Susanne Albrecht in Berlin-Marzahn, Rosenbecker Straße 3:

Sie selber lebte im zweiten Stock, und in einer konspirativen Wohnung (KW) in der neunten Etage residierte, so ein Stasi-Auflöser, „die operative Kontrolle“. Die KW sei „so dichte bei“ gewesen, damit die Stasi „sicher sein konnte, daß die Albrecht keinen Mist mehr baut“. In ihrem neuen Leben wähnten sich die Übersiedler bald so sicher, daß sie von ihrer Notrufnummer, die ihnen die Stasi für alle Fälle gegeben hatte, kaum Gebrauch machten. Wenn doch, dann wegen Lappalien.

Als beispielsweise in der Schule für die internationale Solidarität gesammelt wurde, gab Christine Dümlein, typisch Wessi, locker einen Heiermann. „Das war zuviel“, erinnert sie sich in einem Interview mit SPIEGEL-TV, „das gab so ’nen kleinen Eklat für uns.“ Ihr Stasi-Vertrauensmann beruhigte sie und riet dringend, „daß ich da mit weniger Geld einsteige“.

Verbindungen der Terroristen untereinander wurden von den Stasi-Führern unterbunden. „Am Anfang“, sagt Christine Dümlein, „hatte ich Kontakte hier zu Frau Albrecht und zu Silke Maier-Witt. Aber das hat sich sehr schnell gegeben.“ Die Stasi ordnete an, „also hier hat jeder für sich zu bleiben“.

Bis zuletzt hielten die Mitarbeiter der HA XXII die Hand über ihre Schutzbefohlenen. Erst kurz vor der Wende verabschiedete sich, so ergaben Vernehmungen der RAF-Aussteigerin Susanne Albrecht, der zuständige Stasi-Mann bei ihr mit der Bemerkung: „Ich kann jetzt nichts mehr für Sie tun.“

Begonnen hatte der graue DDR-Alltag für RAF-Übersiedler offenbar anders, als sie es sich wohl vorgestellt hatten: im Gefängnis.

Der HA XXII stand eine konspirative Stasi-Haftanstalt in Blumberg, nahe Berlin, zur Verfügung, in der die Neuankömmlinge nach Angaben eines Stasi-Experten erst einmal über ihr Leben in der RAF ausgefragt wurden.

In dem Gebäudekomplex, der heute Diestel untersteht, mangelte es an nichts. Der einstige Gutshof und das umliegende Areal waren schon Mitte der siebziger Jahre von Stasi-Bautrupps komplett umgekrempelt worden. Aus dem Teich gestalteten die Handwerker einen Swimming-pool, Stallungen wurden zu Garagen, Werkstätten und Schulungsräumen umgebaut, der Keller wurde mit Bar, Sauna und Fitneßcenter bestückt. Das geheime Objekt wird immer noch streng abgeschirmt.

Andere Verstecke, die der HA XXII zur Verfügung standen, waren über die ganze DDR verteilt. Sogenannte Dienstobjekte besaßen die Terror-Spezialisten in Glienicke und Börnicke, „Teilobjekte“ befanden sich in Schönefeld und Hoppegarten.

Im Dienstobjekt „Der lange Ort“ in Wartin nahe Prenzlau wurden Antiterror-Einheiten ausgebildet. Und die Fälscherwerkstatt der HA XXII lag tief im Wald versteckt: Die Anlage „Forsthaus An der Flut“ beim Dorf Briesen im Bezirk Frankfurt/Oder ist nur über einen schmalen, sandigen Waldweg zu erreichen und firmierte als Ferienheim für Stasi-Mitarbeiter.

Auf dem Areal an einem kleinen See trafen 1980 die ersten steckbrieflich gesuchten RAF-Täter ein. An dem stillen Ort, bestätigt Christine Dümlein, erhielten zumindest einige der jetzt Festgenommenen ihre Legende, falsche Papiere und neue Wohnadressen.

Über die Betreuung der RAF-Übersiedler in den folgenden zehn Jahren waren bei den sammelwütigen Stasi-Stellen offenbar auch umfangreiche Akten angelegt worden, die bisher noch nicht vollständig gesichtet wurden. Allein in der Frankfurter Stasi-Bezirksverwaltung lagern noch rund 30 blaue Aktensäcke aus der Hauptabteilung XXII in einem dreifach gesicherten Bunker. Die amtlichen Auflöser wollen diese Woche mit der Auswertung beginnen.

Je mehr über die umfangreichen Operationen der HA XXII ans Licht kommt, desto weniger wollen einige Chefs gewußt haben. Zwar gingen die Anweisungen, den RAF-Übersiedlern ein ordentliches Auskommen mit Arbeitsplatz, Auto und Couchgarnitur zu schaffen, bis hinunter in die Stasi-Bezirks- und Kreisverwaltungen.

Doch der Mielke-Stellvertreter Markus Wolf etwa, einst Chef der Hauptverwaltung Aufklärung und daher auch mit den Interna der palästinensischen RAF-Freunde vertraut, hat wie Honecker angeblich alles erst aus der Zeitung erfahren – ein Unschuldslamm, das sich vor Monaten noch in geheimnisvollen Andeutungen erging: Nach einem SPIEGEL-Gespräch im November vorigen Jahres (47/1989) orakelte Wolf, im Westen werde man sich noch wundern, „was da alles hochkommt“.

Einiges ist inzwischen hochgekommen, das auch dem Minister Diestel, der sich bisher in seinen „Fahndungserfolgen“ sonnt, noch bohrende Fragen bescheren wird. Er hat, nach Angaben von Insidern, neben einer Reihe von Offizieren auch zwei Anführer aus der HA XXII in sein Ministerium übernommen, die bereits von der letzten SED/PDS-Regierung unter Hans Modrow eingestellt worden waren: den früheren Leiter der Ausbildungsabteilung 5, Jürgen Schaar, und den einstigen Chef der Abteilung 9 („Spezifische Kampfkräfte“), Klaus-Peter Meinel.

Schaar, der vom Oberstleutnant zum Hauptmann degradiert wurde, wirkt nun als „Ausbildungsoffizier Taktik“ in der Antiterrorabteilung des Ministeriums. Meinel, der Major bleiben durfte, ist dort ebenfalls untergekommen als „Offizier für Terroranalyse“.

Mit ihnen wechselten weitere 102 Angehörige der alten HA XXII Anfang des Jahres ins Innenministerium, beileibe nicht nur die „Handwerker“, wie Diestel glauben machen will. Eine beispiellose Groteske: Die Stasi-Mannen, die bisher den RAF-Übersiedlern Schutz und Schild verschafften, beschützen nun die DDR-Politiker vor möglichen Anschlägen der RAF.

Schaar und Meinel, die Diestel nicht persönlich kennen will („Die Namen hör‘ ich zum ersten Mal“), wußten nach Ansicht von Stasi-Kennern über die Unterbringung der RAF-Leute Bescheid. Am 16. Mai faßte der Ministerrat zudem den Beschluß, „zur Lösung der Aufgaben zur Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus“ sei das gesamte dazu vorhandene „Schriftgut und Sachmaterial“ aus der alten HA XXII „umgehend dem Ministerium des Innern zu übergeben“ – damit hatte Diestel alles, was er brauchte, um die Connection Stasi & RAF zu zerschlagen.

Er wird nun beantworten müssen, ob sein Apparat die Verzögerung, womöglich bewußt, verschuldet hat oder weshalb sonst er zunächst nur das Versteck von Susanne Albrecht, dann nach und nach zwei Wochen lang die Adressen der anderen Gesuchten auffliegen ließ.

Westdeutsche Terroristen hätten 1977, berichtete der einstige Mielke-Vize Neiber, die DDR selber um Unterstützung gebeten. Damals soll ein Hilferuf von drei flüchtigen westdeutschen Guerillas aus der Tschechoslowakei bei DDR-Stellen eingegangen sein. In Prag hätten die Gesuchten, darunter angeblich auch Inge Viett, ihre Überstellung in die DDR erbeten, um, so Neiber, „dort ihre Probleme zu lösen“.

Auf ausdrückliche Weisung Mielkes wurde das Trio, sagt Neiber, dann drei Tage lang in Ost-Berlin angehört und anschließend in den Nahen Osten ausgeflogen. Erst 1980 seien drei RAF-Mitglieder sowie nachfolgend noch sieben weitere Rotarmisten endgültig in die DDR übergewechselt.

Der Transfer, berichtete ein Ex-Stasi-Offizier, sei „nicht in der Gruppe“ geschehen, „sondern so ein und zwei Mann immer in Wochen“. Die einstigen Revolutionäre setzten sich, jedenfalls ihren bisherigen Aussagen zufolge, in der faden DDR-Gesellschaft zur Ruhe.

Die Festgenommenen behaupten, sie hätten mit Anschlägen der dritten RAF-Generation nichts zu tun gehabt. Beer, Seckendorff und Sigrid Sternebeck versichern zudem, seit ihrer Übersiedlung die DDR nicht verlassen zu haben. Die Stasi liefert das Alibi: „Wir haben die“, berichtet ein Offizier der HA XXII, „doch ständig überwacht.“

Daß tatsächlich alle RAF-Übersiedler Aussteiger sind, wollen die westdeutschen Ermittler bisher nicht bestätigen. Gleichwohl deutet vieles darauf hin, daß sich Susanne Albrecht, Inge Viett sowie die Randfiguren Christine Dümlein und Friedrich vom Terrorismus schon lange gelöst haben.

Zweifel halten die Fahnder – vielleicht nur, weil sie nicht ihr Gesicht verlieren wollen – noch in mehreren anderen Fällen aufrecht:
* Seckendorff, der RAF-Kennern schon lange als Aussteiger
gilt, soll noch 1984, vier Jahre nach seiner
Einbürgerung, an einem Bankraub in Würzburg und einem
Überfall auf ein Waffengeschäft
bei Ludwigshafen beteiligt gewesen sein;
* Lotze, so glauben Spezialisten zu wissen, habe 1985
versucht, ein Bundeswehr-Munitionslager im bayerischen
Neukirchen zu knacken, und stehe mit dem Mord an
MTU-Manager Ernst Zimmermann 1985 in Verbindung;
* Sigrid Sternebeck wird vorgeworfen, den Wagen gekauft
zu haben, mit dem im August 1985 ein
Sprengstoffanschlag auf den US-Fliegerhorst in
Frankfurt verübt wurde – zuvor war ein US-Soldat
getötet, sein Ausweis entwendet worden.

Doch an ihre Erkenntnisse glauben die Ermittler selber nicht mehr so recht. Von den Unschuldsbeteuerungen der RAF-Rentner in bezug auf Taten, die nach ihrer Einbürgerung verübt wurden, zeigte sich jedenfalls die Bundesanwaltschaft beeindruckt. Der Sprecher der Karlsruher Chefankläger, Hans-Jürgen Förster, mag nicht mehr ausschließen, daß Bezichtigungen für Taten der jüngsten Zeit gegen Lotze, Sternebeck und Seckendorff womöglich nicht aufrechterhalten werden können.

Die Erkenntnisse, warb Förster um Verständnis, beruhten vor allem auf sogenannten Wiedererkennungszeugen, denen damals Fotos der mutmaßlichen Terroristen vorgelegt worden waren. Beim Mord an Zimmermann reichte Fahndern damals der Hinweis auf ein Muttermal über der Lippe, das Zimmermanns Ehefrau bei einem Täter gesehen haben wollte, um Werner Lotze – damals laut Stundenbuch als Schichtführer in Senftenberg bei der Arbeit – als Täter zu verdächtigen.

Auch daß in einigen ausgehobenen RAF-Depots noch Anfang der achtziger Jahre Fingerabdrücke einiger Übersiedler gefunden wurden, hält der ehemalige Chef des Wiesbadener Bundeskriminalamts und jetzige Diestel-Berater Heinrich Boge, 61, nicht für einen ausreichenden Beleg. Die Prints, so Boge, könnten auch schon vorher an die Gegenstände geraten sein. Boge: „Das zu verifizieren bedarf intensiver kriminalistischer Arbeit.“

Verdachtsmomente richteten sich letzte Woche vor allem gegen Henning Beer, der bis zu seiner Festnahme bei Sicherheitsexperten sogar als Mitglied der aktiven „RAF-Kommandoebene“ gegolten hatte. Nach Beer wurde zuletzt im Zusammenhang mit dem Attentat auf den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen im November vorigen Jahres verstärkt gefahndet. Außerdem soll er im Juni 1988 bei einem Anschlagsversuch auf eine Nato-Delegation im spanischen Rota und der versuchten Ermordung des Bonner Finanz-Staatssekretärs Hans Tietmeyer im September desselben Jahres beteiligt gewesen sein.

Auch dafür gibt es nur die dürftigen Aussagen von Wiedererkennungszeugen. Doch seit voriger Woche wissen die Ermittler – von ZDF-Journalisten -, daß Beer ausweislich seines Schichtbuchs zu allen drei Tatzeiten jeweils drei Tage Urlaub gehabt haben soll. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach daraufhin von „beeindruckenden Hinweisen, die man ernst nehmen“ müsse.

Die Daten im Schichtbuch, vielleicht ein merkwürdiger Zufall, belegen freilich nur, daß Beer kein Alibi vorweisen kann. Dennoch trompetete Bild laut heraus: „Ließ der Stasi den Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, ermorden?“

Indizien, daß Honecker womöglich doch bomben ließ, wenn auch nicht von der RAF, glaubte vorige Woche auch ein Ex-Stasi-Offizier dem SPIEGEL nennen zu können. Mielkes Truppe, so der Zeuge, sei in den Anschlag auf die West-Berliner Diskothek „La Belle“ im April 1986 verstrickt gewesen. Das Attentat, bei dem drei Menschen starben und 200 verletzt wurden, war von mutmaßlich libyschen Tätern verübt worden. Oberst Frank Wiegand, der damalige Leiter in der Arbeitsgruppe Ausländer in der HA II habe „von dem Anschlag gewußt“ – er ist im Dezember vorigen Jahres in den Westen getürmt.

Bis zur endgültigen Klärung, ob auch RAF-Terroristen vom Boden der DDR * Beim Interview mit SPIEGEL-TV. aus noch aktiv geworden sind, wird in der Bundesrepublik weiter über die politische und juristische Bewertung der Zusammenarbeit von Stasi und RAF gestritten. So argumentiert der Grünen-Vorstandssprecher Hans-Christian Ströbele: „Der Gesellschaft der BRD“ sei „nicht damit gedient, acht Leute aus der DDR rüberzubekommen, sie unter unmenschlichen Haftbedingungen ins Gefängnis zu stecken und groß aufgezogene politische Prozesse mit problematischen Urteilen durchzuziehen – alles wie gehabt“. Ströbele: „Das birgt die Gefahr, daß wieder an der Gewaltspirale gedreht wird.“

RAF-Aussteiger Klaus Jünschke, vor zwei Jahren begnadigt, meldete sich zusammen mit der Schwester der toten Terroristin Gudrun Ensslin, Christiane Ensslin, in der alternativen Tageszeitung zu Wort: „Die RAF-Aussteigerinnen und -Aussteiger müssen freigelassen werden.“ Die Stasi-Hilfe, so die beiden Autoren, habe den Aussteigern „zu einem Leben ohne Straftaten“ verholfen, das „war kein Verbrechen“.

Politiker, Juristen und Sicherheitsexperten wollen die DDR und die Festgenommenen allerdings nicht so schnell aus der Verantwortung entlassen. Schließlich habe die Stasi die aktive RAF-Kommandoebene zumindest stabilisiert, indem sie ihr die unsicheren Kantonisten vom Hals geschafft habe. Gerhard Boeden, Präsident des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz: „Das war schon Hilfe genug.“

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Lüder forderte, gegen alle Verantwortlichen müsse mit der „vollen Härte des Gesetzes“ vorgegangen werden. Und sein Fraktionskollege Burkhard Hirsch mahnte die RAF-Übersiedler, mit ihrer Vergangenheit „reinen Tisch“ zu machen und zur Aufklärung der Mordanschläge auf Buback, Schleyer und Ponto beizutragen.

Die Frage, ob die Festgenommenen von der DDR-Justiz an die Bundesrepublik ausgeliefert werden, hat vergangene Woche einen in der deutschen Rechtsgeschichte beispiellosen Streit ausgelöst. Ursache ist die DDR-Staatsbürgerschaft der RAF-Leute.

Im Kern der Auseinandersetzung steht Artikel 33, Absatz 2 der noch gültigen DDR-Verfassung. Danach darf kein Bürger der DDR „einer auswärtigen Macht ausgeliefert werden“.

Die DDR-Generalstaatsanwaltschaft will den Konflikt, wie ihr Sprecher Dieter Plath erläutert, pragmatisch lösen: „Insbesondere nach der Ratifizierung des Staatsvertrags ist für uns die Bundesrepublik keine auswärtige Macht mehr.“ Die Auslieferung sei möglich.

Ganz anders beurteilen Richter die Situation. Uwe Weitzberg, Direktor des Stadtbezirksgerichts Berlin-Mitte und als Haftrichter in erster Instanz zuständig, sieht keinen Grund, die Verfassung zu ignorieren: „Der Staatsvertrag schafft keine Rechtsunion.“ Den Verhafteten, sagt Weitzberg, könne in der DDR der Prozeß gemacht werden.

Selbst wenn, wie nicht auszuschließen, die Volkskammer mit Zweidrittelmehrheit eine Änderung des Verfassungsartikels 33 herbeiführen sollte, hätte immer noch Paragraph 15 der DDR-Strafprozeßordnung Gültigkeit, in dem ebenfalls die Auslieferung von DDR-Bürgern an andere Staaten untersagt wird. Darauf verweist der Ost-Anwalt Rolf Henrich, der die einstigen RAF-Mitglieder von Seckendorff und Helbing vertritt.

Ein Verwirrspiel gab es vergangene Woche um die inhaftierte Susanne Albrecht, die am Freitag erstmals von Verwandten und ihrem Hamburger Anwalt Hajo Wandschneider besucht werden durfte. Meldungen, daß sie auf Antrag ihres Ost-Berliner Verteidigers Wolfgang Vogel freikomme, wurden wenig später dementiert.

Der Haftbeschwerde Susanne Albrechts wird von den Richtern jedoch voraussichtlich Anfang dieser Woche stattgegeben. Die DDR-Generalstaatsanwaltschaft hat bereits angekündigt, daß sie in diesem Fall unverzüglich einen neuen Haftbefehl ausstellen will.

DDR-Innenminister Diestel dagegen wäre die Häftlinge am liebsten umgehend los. Er sieht sich neuerdings täglich „Hinrichtungsankündigungen“ ausgesetzt, die sämtlich mit dem RAF-Kürzel signiert sind.

Die anonymen Schreiben stammen, da sind die Experten sicher, nicht von der westlichen RAF. Dennoch macht sich in der DDR Angst breit. So wurden am Dienstag abend letzter Woche in Leipzig mehrere Sprengstoffanschläge angekündigt, falls die festgenommenen RAF-Leute nicht sofort nach Syrien ausgeflogen würden. Fast 50 Familien mußten auf Anordnung der Polizei ihre Wohnungen zeitweilig verlassen, zwei Gaststätten wurden geschlossen, ein Schnellzug gestoppt.

Geschürt wird die Angst durch Sprühparolen, die in der DDR erstmals nach der Festnahme von Susanne Albrecht und Inge Viett auftauchten: „Die RAF lebt“ heißt es da, oder „Susanne, wir helfen Dir“. Der Leiter der Abteilung Extremismus beim Zentralen Kriminalamt der DDR, Bernd Wagner, will erkannt haben: „Es gibt bereits eine Sympathisanten-Szene.“ Als Indiz wertet er auch eine Veranstaltung Ende letzten Monats in Ost-Berlin, bei der bessere Haftbedingungen für die in der Bundesrepublik inhaftierten RAF-Mitglieder gefordert wurden.

Auch Diestels Ministerium reagiert aufgeregt. Es schickte, so berichten DDR-Kommunalpolitiker, eine geheime Mitteilung an die Chefs der Kreisverwaltungen. Danach soll die RAF eine ganze Serie von Überfällen planen – auf die gepanzerten Lastwagen, die derzeit die D-Mark in den Osten karren.

Über stasifolteropferadamlauks

I am 72 Years old and I I am still victim of torture in STASI-Prison in former GDR 1982-1985. I never reached Justice and satisfaction by Germany´s goverment after 40 Years injustice ! I am fighting for the implementation § TORTURE in Germany´s national low.
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