Frei nach: “Mein Europa… “Non Papers
Ein inoffizieller Teilungsplan für Bosnien-Herzegowina schlägt hohe Wellen in der Westbalkan-Region. Die EU muss sich sehr entschieden gegen solche Szenarien posi-tionieren.
Die Pandemie hat in Bosnien-Herzegowina (BiH) in den letzten Monaten so viele Mensch-enleben im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerung gekostet wie in keinem anderen Land Eu-ropas. Erich Rathfelder schreibt in einem Artikel der “tageszeitung” (taz) über “Beerdigun-gen im Akkord”. Schon allein diese Tatsache müsste unsere Aufmerksamkeit in Richtung Westbalkan lenken. Aber im Moment scheint die D-EU mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein und Gründe genug dafür hat sie mehr als genug, die mit der Pandemie erfolgreich abgeschirmt werden.
Während Bosnien-Herzegowina mit der Pandemie, mit dem Versagen, also dem Ausbleib-en des Covax-Impfstoffprogramms, und mit den eigenen Politikern kämpft, sind mehrere Ausarbeitungen sogenannter “Non-Papers” über Bosnien-Herzegowina und die Westbalkan-Region unterwegs nach Brüssel, also inoffizielle Schriftstücke, mit denen die Akzeptanz politischer Vorschläge getestet werden soll.
Der kroatische Außenminister Gordan Grlić Radman hat am 22. März ein “Non-Paper”, das auch von Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Griechenland und Zypern unterschrieben wurde, in Brüssel vorgestellt. In diesem Papier geht es vordergründig darum, Bosnien-Herzegowina auf seinem Weg in die EU “zu helfen”.
“Non-Paper”sorgt für Unmut
Mit diesem “Non-Paper” unterstützt die kroatische Regierungspartei HDZ die Anstrengungen ihrer Schwesterpartei, der bosnischen HDZ, das Wahlgesetz in Bosnien-Herzegowina so zu ändern, dass die Blockade des Staates weiterhin erhalten bleibt und dazu auch eine ständige Kontrolle und Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung im Land seitens Kroatiens stattfinden kann. Dass dieses den Weg zu einer dritten Entität und am Ende zum Anschluss an Kroatien öffnet, ist mit dem “Non-Paper” auf den ersten Blick nicht so offensichtlich.
Das kroatische “Non-Paper” hat bei vielen Menschen für Unmut gesorgt. Manuel Sarrazin, Mitglied des deutschen Bundestags und Sprecher für Osteuropapolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, erhielt auf eine Anfrage an die Bundesregierung, wie sie sich zu einer Wahlrechtsreform in BiH positioniert, eine zufriedenstellende Antwort: “Die Bundesregierung bekennt sich zur territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas mit seinen bestehenden Entitäten. Die Schaffung einer dritten Entität, zusätzlich zur bestehenden Föderation Bosnien-Herzegowina sowie Republika Srpska, kann aus Sicht der Bundesregierung nicht das Ziel der Reformbemühungen sein.”
Friedliche Auflösung Bosnien-Herzegowinas?
Das Mitglied der dreiköpfigen Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas, Željko Komšić – ein bosnischer Kroate, der von der HDZ in Bosnien-Herzegowina und Kroatien nicht akzeptiert wird – hat als Antwort auf das kroatische “Non-Paper” sein eigenes umfangreiches “Non-Paper” am 2. April nach Brüssel gesandt. In diesem erörtert er die seiner Meinung nach unklare EU-Politik, die stark unter dem Einfluss Kroatiens und der dort regierenden HDZ stehe, sowie den Mangel der Neutralität seitens der EU-Delegation in Bosnien-Herzegowina und insgesamt den seines Erachtens falschen Weg bei der Wahlrechtsreform in BiH. Er weist unter anderem auf die Einmischung Serbiens und Kroatiens in die inneren Angelegenheiten Bosnien-Herzegowinas hin, ebenso wie auf den Druck Russlands wegen der bosnischen NATO-Aspirationen. Er fordert in diesem Schreiben ein aktiveres Engagement seitens der EU und Hilfe bei der Deblockierung staatlicher Institutionen, ansonsten, so Komšić, werde sich die Lage in Bosnien-Herzegowina noch weiter verschlechtern. Daraufhin hat die internationale Gemeinschaft in BiH prompt reagiert und alle politischen Akteure aufgefordert, keine Spekulationen anzustellen und unnötige Spannungen zu erzeugen.
Erst vor ein paar Tagen bestätigte Željko Komšić, dass der slowenische Staatspräsident Borut Pahor bei seinem jüngsten Besuch in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo am 5. März den drei Mitgliedern der Präsidentschaft gesagt habe, es gäbe in Europa immer mehr Stimmen, die dafür plädierten, den Zerfall Jugoslawiens zu vollenden. Gleichzeitig habe Pahor gefragt, ob eine “friedliche Auflösung” Bosnien-Herzegowinas möglich sei. Laut Komšić sagten er und Šefik Džaferović, das bosniakische Mitglied der Präsidentschaft, dass eine friedliche Trennung nicht möglich sei, während Milorad Dodik, das serbische Mitglied, die entgegengesetzte Position zum Ausdruck brachte. Dass Dodik diese Haltung seit Jahren vertritt, ist keine Neuigkeit.
Das “slowenische Papier”
Man kann sich fragen, warum eine so wichtige Information erst jetzt an die Öffentlichkeit gelangt. Ein Grund, der plausibel erscheint, ist die Information, dass ein weiteres “Non-Paper” über die “ungelösten nationalen Probleme von Serben, Albanern und Kroaten” nach dem Zerfall Jugoslawiens im Umlauf ist. Der Premierminister Sloweniens, Janez Janša, ein guter Freund des ungarischen Premiers Viktor Orbáns, hat dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, im Februar offenbar ebenfalls ein “Non-Paper” zukommen lassen, auf nicht offiziellem Weg. Er selbst bestreitet, Urheber des Papiers zu sein.
Das “Non-Paper” mit Titel “Westbalkan – der Weg nach vorne”, veröffentlicht in dieser Woche auf der slowenischen Webseite “necenzurirano.si”, ist alles andere als das. Es ist eher eine Fortsetzung der nationalistischen Politik Serbiens und der kroatischen Regierungspartei HDZ gegenüber Bosnien-Herzegowina. Nach einigen Informationen wurde ein Teil des Inhalts sogar in Budapest verfasst, aber in Brüssel spricht man vom “slowenischen Papier”.
Mögliche kriegerische Auseinandersetzungen
Es hat für große Aufregung gesorgt, denn darin wird vorgeschlag-en, die Grenzen in der Region so zu verändern, dass ein Groß-Ser-bien, Groß-Kroatien und Groß-Albanien entstehen. Bosnien und Herzegowina wäre damit zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt und nur ein kleiner Teil des Landes bliebe für die Bosniaken übrig. Es ist also kein Wunder, dass die Stimmen gegen das Papier in Bosnien und Herzegowina, aber auch in Montenegro sehr laut geworden sind. Man spricht sogar von möglichen kriegerischen Auseinandersetzungen.
In dem Dokument ist die Rede von der schon laufenden “stillen Überprüfung” mit Entscheidungsträgern in der Region und der internationalen Gemeinschaft, ob der angedachte Plan umgesetzt werden kann. Dass Teile der internationalen Gemeinschaft in solch einer “Silent Procedure” offensichtlich schon aktiv sind, ist erschreckend. Hat man völlig vergessen, dass es in Bosnien-Herzegowina gerade wegen der Pläne einer Teilung des Landes zu einem furchtbaren Krieg kam?
Janša wies solche Anschuldigungen nicht direkt zurück. Er betonte, dass Slowenien “ernsthaft nach Lösungen für die Entwicklung der Region und die EU-Perspektive der westlichen Balkanländer sucht” und dass Behauptungen, das Papier knüpfe an frühere Teilungspläne an, “versuchen, solche Ziele zu verhindern”.
Bekenntnis zur territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas
Über das “Non-Paper” des slowenischen Premierministers äußerte sich Sloweniens Präsident Pahor nicht, aber sein Büro teilte unter anderem mit: “Präsident Pahor warnt regelmäßig vor der Idee des Zerfalls Bosnien-Herzegowinas und der Neugestaltung der Grenzen auf dem westlichen Balkan. In diesem Zusammenhang hat er aufgrund seiner Besorgnis über diese Ideen alle drei Mitglieder der Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas während seines Besuchs in Sarajevo im März danach gefragt.”
Pahor sagte in einem Auftritt im slowenischen POP TV, dass er nach seiner Rückkehr aus Bosnien-Herzegowina noch mehr davon überzeugt war, dass die EU vor einer “unangenehmen Situation stehe, in der sie nicht über Nacht, aber trotzdem schnell eine Entscheidung über die Zukunft des westlichen Balkans treffen muss”. Er befürchtet, dass das jetzige Tempo zu langsam sei. “In diesem Fall wird auf dem westlichen Balkan alles passieren, vielleicht sogar unter Anwendung von Gewalt, und wir werden wieder Blutvergießen erleben.”
Die US-Botschaft in Sarajevo reagierte auf die Pläne im Papier mit einer klaren Aussage, in der sie sich zum Friedensvertrag von Dayton bekennt und jede neue Grenzziehung ablehnt: “Bosnien-Herzegowina ist ein demokratischer, multiethnischer, souveräner und unabhängiger Staat mit unbestreitbarer territorialer Integrität.” Auch die Position der EU in Bezug auf den westlichen Balkan und die Grenzen scheint sehr klar: “Es gibt nichts, was sich ändern muss”, sagte ein Sprecher der EU-Kommission.
EU muss sich gegen Nationalismus positionieren
Trotzdem sind solche “Silent Procedures“, wie es das “Non-Paper” nennt, besorgniser-regende Nachrichten – besonders vor dem EU-Außen- und Europaministertreffen mit dem Tagesordnungspunkt Westbalkan am 19. April und auch vor dem Brdo-Brijuni-Gipfel in Kranj, der in etwa zwei Monaten stattfinden soll.
Der Brdo- Brijuni-Gipfel in der albanischen Hauptstadt Tirana, 09.05.2019
Der Brdo -Brijuni-Prozess ist eine gemeinsame slowenisch-kroatische Initiative, die Pahor 2010 als damaliger Premierminister ins Leben gerufen hat, um das gegenseitige Vertrauen und die Unterstützung auf dem europäischen Weg der westlichen Balkanländer zu stärken. Dieses Jahr ist der französische Präsident Emmanuel Macron Gast auf dem Brdo-Brijuni-Gipfel. Aber mit solchen “Non-Papers”, die Kroatien und Slowenien in die Welt setzen, kann von Vertrauen und Unterstützung nicht die Rede sein.
Es ist nicht klar, warum Slowenien, das bald die EU-Präsidentschaft übernimmt, das “Non – paper” Kroatiens mit unterzeichnet hat. Aber es ist klar, dass die Ideen der 1980er Jahre, die damals Slobodan Milošević und Franjo Tuđman in die Welt gesetzt haben, heute noch sehr lebendig sind.
Die D – EU muss sich endlich gegen nationalistische und faschistische Bestrebun-gen, auch in den eigenen Reihen, positionieren und dem Westbalkan und insbesond-ere Bosnien und Herzegowina mit einer klaren, transparenten und fokussierten Politik gegenübertreten. Auch wegen der nationalistischen Entwicklungen innerhalb der EU ist dieses äußerst wichtig.
Opet ti Slovenci?
D – EUROPA
Sloweniens Premier will Westbalkan-Gre-nzen verändern
Drei Jahrzehnte nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawien schlägt Janez Janša vor, den Westbalkan neu zu ordnen – nach ethnischen Prinzipien. Slowenien übernimmt am 1. Juli 2021 die D – EU-Ratspräsidentschaft.
“Lösungen” heißt der Absatz in einem “Non-Paper”, das der slowenische Regierungschef Janez Janša schon vor Monaten einigen ausgesuchten Empfängern in der EU übergeben hat. Es liest sich wie ein Dokument des Berliner Kongresses aus dem Jahre 1878, als sich Otto von Bismarck, Lord Salisbury und Fürst Gortschakow gemeinsam über die Landkarte des Balkans beugten – und innerhalb eines Monats freihändig über das Schicksal der Nationen Südosteuropas entschieden.
Für “a) Vereinigung von Kosovo und Albanien” sind in dem Papier vier Zeilen reserviert. Punkt “b) Vereinigung des größeren Teils der Republika Srpska [des serbisch dominierten Teils Bosnien-Herzegowinas; Anm. d. Red.] mit Serbien” kommt noch mit einer Zeile weniger aus. Auch die Konturen des – wie Slowenien bis 1991 zu Jugoslawien gehörenden – Nachbarlands Kroatien möchte Janša bei der Gelegenheit neu ziehen: “c) Die kroatische nationale Frage kann gelöst werden”, indem man entweder “die vorwiegend kroatischen Kantone in Bosnien-Herzegowina mit Kroatien vereinigt” oder aber “dem kroatischen Teil” des Landes einen “Sonderstatus” gibt – “nach dem Modell Südtirol“.

Übrig bleiben bei diesem Szenario die bosnischen Muslime, die sich seit 1993 “Bosniaken” nennen und gut die Hälfte der Bevölkerung im ebenfalls ex-jugoslawischen Bosnien stellen. Sie bekommen in dem Plan “einen unabhängig funktionierenden Staat” und “übernehmen die volle Verantwortung für ihn”. Wenn sie nicht wollen, müssen sie nicht nach Europa, so das Janša-Papier: “Sie können in einer Volksabstimmung wählen zwischen einer EU- und einer Nicht-EU- oder Türkei-Zukunft.” Zwar träten die Bosniaken “vorläufig” für eine EU-Mitgliedschaft ein. “Aber, wenn es mit dem Chaos so weitergeht und mit dem immer stärkeren Einfluss der Türkei und des radikalen Islam”, so Janša, “kann die Lage im nächsten Jahrzehnt drastisch schlechter werden”.
Vorerst sollte eigentlich “verschwiegen vorgegangen” werden, bis der “Plan” mit den “Entscheidungsträgern” in der Region und in der internationalen Gemeinschaft abgesprochen ist. Aber schon vage Hinweise auf die bloße Existenz des Papiers lösten erste Erschütterungen aus. Was Wunder: Das Thema – die Neuziehung der Grenzen in Ex-Jugoslawien – ist auf dem Balkan so etwas wie der Elefant im Raum: die große Bedrohung, über die aber niemand spricht.
Demokratie oder “ethnisch reine” Gemeinschaften?
Kroatiens Außenminister Gordan Grlić Radman reiste am 14.04.2021 in die bosnische Hauptstadt Sarajevo und beruhigte die Gemüter: Kroatien jedenfalls stehe für die Integrität des Nachbarlandes, für die Existenz des slowenischen “Phantom-Papiers” gebe es “keine Beweise”. Einer der Empfänger, EU-Ratspräsident Charles Michel, hatte zuvor gesagt, er könne den Empfang “nicht bestätigen” – was streng genommen nicht heißt, dass er das Papier nicht bekommen hat. Am Mittwochabend schließlich veröffentlichte das slowenische Internet-Portal necenzurirano.si die Schrift unter dem Titel: “Westbalkan: Der Weg voran”.
Seit dreißig Jahren gibt es für den Westbalkan zwei unterschiedliche Konzepte. Gemäß dem vorherrschenden bleiben die Grenzen in der Region unangetastet – und jedes einzelne Land bildet demokratische Strukturen aus, in denen auch ethnische Minderheiten Platz haben. Nach dem anderen, meist unausgesprochenen Konzept, werden die Grenzen in Ex-Jugoslawien nach ethnischen Kriterien neu gezogen – und die jeweiligen Potentaten dürfen ungestört über ihre nationale Familie herrschen. “Ethnisch reine” Nationalstaaten machen das “Chaos” mit Minderheitenrechten, Institutionen und demokratischen Abstimmungsprozessen überflüssig, meinen Befürworter.
Balkan: Ein Schwerpunkt nicht nur für Slowenien
Slowenien übernimmt am 1.06.2021 die EU-Ratspräsidentschaft. Im Dezember des Vorjahres umriss Premier Janša, wie es EU-Brauch ist, in Brüssel schon einmal grob seine Leitlinien – und definierte das Thema Balkan als einen Schwerpunkt.
Janša versteht sich gut mit Viktor Orbán, seinem Amtskollegen im Nachbarland Ungarn. Der finanziert rechte, Janša-freundliche Medien in Slowenien und über den Umweg Ljubljana auch ebensolche im ebenfalls ex-jugoslawischen Nordmazedonien, dessen rechtskräftig wegen Korruption verurteiltem Ex-Premier Nikola Gruevski Ungarn Asyl gewährt. Orbán war es auch, der seinen vertrauten Olivér Várhelyi als neuen EU-Erweiterungskommissar installierte. In seinem Amt kümmert sich der Ungar vor allem um die Beitrittschancen des Nachbarlandes Serbien. In dem so entstandenen Netzwerk fallen Initiativen und “Non-Papers” nicht mehr ins Nichts.
Umsetzung unwahrscheinlich
Trotzdem gilt in Brüssel als unwahrscheinlich, dass Janša seine Westbalkan-Träume in Europa wirklich weiterbringen könnte. Seit seinem letzten Auftritt vor dem Europa-Parlament am 26.03.2021 ist der slowenische Regierungschef dort unten durch. Als er den Abgeordneten zur Medienfreiheit in Slowenien Rede und Antwort stehen sollte, bestand er darauf, lieber einen Film zu zeigen; als das Parlament nicht mitspielte, kappte Janša einfach die Web-Verbindung. So wie Ungarns Kommissar Várhelyi in Brüssel weitgehend kaltgestellt ist, ermöglichen es die Strukturen der EU auch, die slowenische Ratspräsidentschaft zu neutralisieren.
Bloße Gymnasiastenphantasien sind Vorstöße wie das “Non-Paper” trotzdem nicht. Bald drei Jahre ist es her, dass Serbiens Präsident Aleksandar Vučić mit seinen Wünschen nach ethnischer Grenzbereinigung in Europa durchaus auf nicht wenig Wohlwollen stieß: Die sozialdemokratische Außenbeauftragte Federica Mogherini, der christdemokratische Erweiterungskommissar Johannes Hahn und der grüne Präsident Österreichs, Alexander Van der Bellen, machten sich dafür stark, Gebiete zwischen Serbien und Kosovo neu zu verteilen.
PRESSEFREIHEIT
Slowenien: Marschall Twito und die Presse
Sloweniens Premier Janez Janša führt auf Twitter einen verbalen Dauerkrieg gegen kritische Journalisten. In seinen Augen sind sie Lügner und Fake-News-Verbreiter. Nun kritisiert auch die EU Janšas Umgang mit den Medien.
Ein kleines Mädchen schreibt ein englisch-sprachiges Graffito an die Wand. “Wenn du Lügen nur oft genug wiederholst, wird Wahrheit daraus.” Das Wort ‘Wahrheit’ ist mit roter Sprühfarbe durchgestrichen und ersetzt durch ‘Journalismus’. Dieses Bild versandte Sloweniens Premier Janez Janša über seinen Twitter-Kanal. Adressat war die Kleine Zeitung aus dem österreichischen Graz. Ein Artikel über Janšas Umgang mit der Presse im eigenen Land hatte den Unmut von Sloweniens Premier erregt.
Derartige Tweets von Janez Janša sind keine Ausnahme, ganz im Gegenteil: Kein anderer europäischer Regierungschef führt persönlich einen derart erbitterten verbalen Krieg gegen die Medien. Janša zieht regelmäßig über einheimische Journalisten her und kommentiert auch so gut wie jeden kritischen ausländischen Artikel über die politischen Verhältnisse in Slowenien unter seiner Regierung – mal wutentbrannt, mal abfällig, immer mit dem Vorwurf, dass es sich um Fake-News handele. Kürzlich beispielsweise hatte Janša Lili Bayer, die Brüsseler Korrespondentin des Magazins Politico, als “Verbreiterin von Fake News” gebrandmarkt, weil sie den Umgang der slowenischen Regierung mit der heimischen Presse in einem Hintergrundartikel kritisch beleuchtet hatte.
Paralleles Medienbiotop
Lili Bayer wurde persönlich auch auf den Social-Media-Kanälen von Nova24TV angegangen, einem rechtslastigen Fernsehsender, der Janšas Slowenischer Demokratischer Partei (SDS) nahesteht und in den sich ungarische Medienmanager eingekauft haben. Für die Politico-Korrespondentin Lili Bayer ist ein solches Regierungsmobbing nichts Neues: Von Orbáns Regierungssprecher Zoltán Kovács wird sie seit langem und regelmäßig diffamiert. Er spricht ihr beispielsweise ab, Journalistin zu sein, und bezeichnet sie als “SJW”, als “soziale Gerechtigkeitskriegerin” (Social Justice Warrior), ein abwertender Ausdruck, der von US-amerikanischen Rechtsextremen geprägt wurde.
“Der Unterschied zwischen Ungarn und Slowenien besteht allerdings darin, dass Orbán kritische Journalisten nicht persönlich angreift”, sagt der Grazer Südosteuropa-Experte Florian Bieber der DW. “Janša hingegen macht das auf seinem Twitter-Account ständig.” Spötter verpassten ihm deswegen in Anlehnung an den jugoslawischen Diktator Josip Broz Tito den Spitznamen “Marschall Twito”. Der slowenische Premier Janša versuche, “ein paralleles Biotop von Medien aufzubauen, die ihm gegenüber loyal, sehr stark im Internet aktiv sind und eine ‘alternative Weltsicht’ zeigen”, beschreibt der Südosteuropa-Experte Bieber die Strategie des slowenischen Premiers.
“Mini-Trump”
Janša hält kritische Journalisten nicht nur für Lügner und Betrüger, sondern vor allem für verkappte Kommunisten. Der slowenische Premier – der selbst einst als kommunistischer Parteijournalist begonnen hatte und sich dann mit dem jugoslawischen Regime überworfen hatte – wolle über die sozialen Medien die Botschaft senden, dass “jede Kritik an seinem Herrschaftsstil illegitim und nicht akzeptabel” sei, sagt Florian Bieber. Bei Kritik aus dem Ausland werde Janša “sehr schnell beleidigend”.
Der slowenische Premier gebe sich “als eine Art ‘Mini-Trump'”, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen (ROG). Tatsächlich macht Sloweniens Premier keinen Hehl aus seiner Sympathie für den ehemaligen US-Präsidenten, der ebenfalls rüde mit Journalisten umsprang.
Ungarische Schützenhilfe
Aber vor allem nimmt Janša Maß am ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, dessen Medienmanager in Slowenien und Nord-Mazedonien investieren. Seit 2017 versuchten diese Investoren ein für Janša günstiges Medienumfeld zu schaffen, das von der slowenischen Regierungspartei SDS kontrolliert werden könne, sagt Petra Lesjak Tušek, die Vorsitzende des slowenischen Journalistenverbandes (DNS), der DW.
Nova24TV, das Wochenblatt Demokracija und mehr als 20 Online-Portale verbreiteten illiberale Ideen nach dem Vorbild Viktor Orbáns in Ungarn, sagt sie. Deren Berichterstattung richte sich gegen den ungarisch-stämmigen Multimilliardär George Soros, Homosexuelle und Migranten. “Es ist im Wesentlichen eine Propaganda-Maschine”, fasst die Journalistin der Mariborer Tageszeitung Večer zusammen, und die feuere aus allen Rohren gleichzeitig. “Es soll ein Gefühl erzeugt werden, dass diese Ansichten allgegenwärtig sind.” Auch dabei dient Orbán als Vorbild: In Ungarn wurde die Mehrheit der Medien auf Regierungslinie gebracht.
Über den slowenischen Premier schreiben die ihm wohlgesonnenen Medien naturgemäß positiv, über seine seine Kritiker dagegen schlecht, das reicht bis zu Cybermobbing und sogar tätlichen Angriffen. Der preisgekrönte Journalist Primož Cirman wurde in der Wochenzeitung Demokracija mit einem Schmähgedicht bedacht. Darin heißt es, der Journalist werde “Stück für Stück” seine gebrochene Nase einsammeln. Der Kolumnist Matija Stepišnik wurde auf dem Facebook-Kanal von Nova24TV mit der Aussicht auf eine Kugel im Kopf bedroht. Journalistinnen bekämen sexistische Mails und würden als “Presstituierte” beschimpft, berichtet die Vorsitzende des slowenischen Journalistenverbandes Tušek. Die Standesorganisation hat zwei Jahre Hass akribisch dokumentiert.
Slowenische EU-Ratspräsidentschaft
Die EU-Kommission reagierte inzwischen scharf auf die Angriffe gegen slowenische und ausländische Journalisten. “Wir akzeptieren keine beleidigenden Äußerungen über Journalisten und verurteilen sie”, sagte ein Kommissionssprecher vorvergangene Woche in Brüssel. Sloweniens Premier Janša schrieb daraufhin einen empörten Brief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und lud sie ein, sie solle sich zusammen mit einer Faktencheck-Delegation vor Ort ein Bild von der Situation der Medien und dem Zustand der slowenischen Demokratie machen.
Zusätzliche europapolitische Relevanz erhält der Disput, weil Slowenien ab 1. Juli dieses Jahres die turnusgemäße EU-Ratspräsidentschaft übernimmt und damit wichtige Themen- und Handlungsschwerpunkte auf die EU-Agenda setzen kann. Der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr warnt, mit Slowenien übernehme im Sommer “ein Land die Ratspräsidentschaft, dessen Ministerpräsidentschaft die Pressefreiheit immer wieder attackiert”.