” Nicht alles aufarbeiten”
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble über gesamtdeutsche Wahlen, Stasi, RAF und Amnestie
Von Lersch, P. und Koch, D.
SPIEGEL: Herr Schäuble, wollen Sie durch Verfahrenstricks die erste gesamtdeutsche Wahl schon jetzt für die Unionsparteien entscheiden?
SCHÄUBLE: Nein, überhaupt nicht.
SPIEGEL: Nach Ihrer Vorstellung sollen die beiden deutschen Staaten ein gesamtdeutsches Parlament getrennt nach zwei Wahlgesetzen wählen – mit unterschiedlichen Sperrklauseln, fünf Prozent in der Bundesrepublik, drei Prozent in der DDR. Auf diese Weise soll vor allem der DSU, der CSU-Schwesterpartei, das Überleben gesichert werden.
SCHÄUBLE: Also, inzwischen sind auch in der DDR nahezu alle politischen Kräfte dafür, daß noch in diesem Jahr gesamtdeutsche Wahlen stattfinden. Ich habe das seit langem so gewollt, und dann stellt sich die Frage: Wie kann man bei den durch das Bundeswahlgesetz vorgegebenen Terminen noch in diesem Jahr zur Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments kommen?
SPIEGEL: Schon Ihre Prämisse möchten wir in Frage stellen. Zumindest dem Ministerpräsidenten der DDR wäre eine Wahl Ende des Jahres 1991 lieber. Es geht ihm alles zu schnell. Er wird aber durch Bonn in diese Richtung gedrückt.
SCHÄUBLE: Niemand hier in Bonn hat gedrückt. Gedrückt hat nur die Ungeduld der Menschen, aufgestaut durch 40 Jahre totalitären Sozialismus.
SPIEGEL: Ihr Hinweis auf die Termine des Wahlgesetzes überzeugt uns nicht. In Vorbereitung jeder Wahl ist doch eine Frist von drei Monaten nötig, egal, ob nach einem oder zwei Wahlgesetzen abgestimmt wird. Ihr Vorschlag von zwei Wahlgesetzen weckt unseren Verdacht, Sie wollten nur drumherumreden, daß der DSU das Überleben garantiert werden soll. * Mit Redakteuren Paul Lersch, Dirk Koch in seinem Arbeitszimmer.
SCHÄUBLE: Es ist nicht so, daß man drumherumredet, wenn man nicht Ihrer Meinung ist. Die Entscheidung liegt eben bei der DDR.
SPIEGEL: Sie berufen sich auf die selbständige DDR, wenn es Ihnen politisch paßt. Wenn nicht, wird denen die Meinung Ihrer Regierung aufgedrängt.
SCHÄUBLE: Wir handeln im Respekt vor denen, die sich gerade die Freiheit in einer Revolution erworben haben. Es tut mir leid, wenn Sie meine Antwort nicht mögen.
SPIEGEL: Soll denn nach Ihrer Meinung drüben eine Drei-Prozent-Sperrklausel gelten oder nicht?
SCHÄUBLE: Meine Empfehlung an die DDR wird sein, das Bundeswahlgesetz voll zu übernehmen mit Fünf-Prozent-Klausel.
SPIEGEL: Aber wenn die drei Prozent haben wollen, kann die Bundesregierung sie nicht daran hindern?
SCHÄUBLE: So ist das.
SPIEGEL: Und die Folgen nehmen Sie dann gern in Kauf – das Überleben der DSU, die Aufsplitterung des linken Lagers, möglicherweise eine absolute Mehrheit für die Konservativen. Das hat für uns den Geruch der Manipulation.
SCHÄUBLE: Sie versuchen, diesen Geruch zu schaffen. Aber in der DDR ist man sich darüber einig, daß auch neue DDR-typische Parteien, besonders Gruppen, die den revolutionären Prozeß im Herbst vergangenen Jahres getragen haben, nicht durch eine Sperrklausel um ihre Chancen gebracht werden sollen.
SPIEGEL: Ihr Koalitionspartner FDP will eine Fünf-Prozent-Klausel für ein einheitliches Wahlgebiet.
SCHÄUBLE: Dies liegt in der Entscheidung der DDR, ich muß das immer wiederholen, auch wenn es Ihnen langweilig ist. Wir haben uns hier in Bonn über diese Fragen erst zu unterhalten, wenn sich die DDR entschieden hat.
SPIEGEL: Sie verstecken sich immer hinter der DDR. Gilt das auch für den Fall, daß die Republikaner drüben nicht an den Wahlen zum gesamtdeutschen Parlament teilnehmen dürfen, in der Bundesrepublik aber sehr wohl? Ist das verfassungsrechtlich haltbar?
SCHÄUBLE: Ich würde, wenn die DDR dies will, dafür plädieren, daß sie diese Entscheidung überprüft. Ich halte es in der Tat für besser, wenn in beiden Teilen die gleichen politischen Kräfte kandidieren könnten.
SPIEGEL: Sonst würde das Verfassungsgericht eine solche Wahl für ungültig erklären?
SCHÄUBLE: Ich denke, auch der Ausschluß der Republikaner könnte bei getrennten Wahlgebieten wohl verfassungsrechtlich noch durchgehen, weil es eine eigene Entscheidung der DDR wäre. Deshalb glaube ich, dies ist kein unüberwindliches Hindernis.
SPIEGEL: Halten Sie es für möglich, daß die DDR doch schon bald ihren Beitritt erklärt, um auf Unruhe nach Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion zu reagieren?
SCHÄUBLE: Ja, ich bin derjenige, der immer sagt: Es ist alles möglich, die DDR hat noch nichts entschieden. Aber ich weiß auch, daß die DDR-Regierung eigentlich die Grundbedingungen für das, was hinterher passiert, vorher vertraglich geregelt wissen will.
SPIEGEL: Es soll also einen Staatsvertrag mit der DDR, kein Überleitungsgesetz geben?
SCHÄUBLE: Vertragliche Vereinbarungen haben für die DDR den Vorzug, daß nicht mit Mehrheit des Bundestages entschieden wird, wie die Rechtsordnung in der DDR künftig aussehen soll. Aus der Sicht der DDR halte ich das für legitim, und ich finde, daß wir dem Rechnung tragen sollten.
SPIEGEL: Was soll Ihrer Meinung nach in dem Vertrag geregelt werden? Die DDR hat beispielsweise Wünsche für eine gesamtdeutsche Verfassung.
SCHÄUBLE: Sicher. Nur muß man berücksichtigen, daß der Beitritt der DDR zum Grundgesetz jedenfalls für uns in der Bundesrepublik nicht die Gelegenheit ist, Verfassungsänderungen durchzusetzen, für die es in 40 Jahren keine verfassungsändernde Mehrheit gegeben hat. Ein paar Änderungen sind allerdings zwingend geboten, so die Streichung des Artikels 23 Satz zwei, der den Beitritt regelt, um Mißverständnisse auszuschließen. Außerdem wird es Teile der Verfassung geben, die man nicht gleich in der DDR in Kraft setzen kann, sondern erst nach einer zu vereinbarenden Frist. Ich denke an die Wehrverfassung oder den Bund-Länder-Finanzausgleich.
SPIEGEL: Im übrigen sind Verfassungsänderungen nicht verhandelbar?
SCHÄUBLE: Mein Kriterium heißt: Wenn die DDR bestimmte verfassungsrechtlich relevante Strukturen, die sich in diesen 40 Jahren entwickelt haben, bei einem Beitritt nicht aufgeben möchte, dann muß man dem möglicherweise auch Rechnung tragen.
SPIEGEL: Gerade aus der DDR kommt der Wunsch, die Sozialstaatsklausel im Grundgesetz zu präzisieren, konkret, die Sorge um Arbeitsplätze und angemessenen Wohnraum als eine Pflicht des Staates festzulegen.
SCHÄUBLE: Wir haben mit unserer sozialen Marktwirtschaft und mit der Sozialstaatsklausel im Grundgesetz ein Maß an sozialer Sicherheit erreicht, das die Menschen in der DDR gerade wollen. Ich sehe deshalb nicht, warum nach dem Beitritt noch eine solche Präzisierung notwendig sein soll.
SPIEGEL: Weil die Bürger der DDR Angst haben um ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung.
SCHÄUBLE: Die Sorgen, von denen die Menschen in der DDR jetzt geplagt sind, gehören zur Hinterlassenschaft von 40 Jahren Sozialismus. Sie aber erwecken den Eindruck, als seien es unsere Verhältnisse, die den Menschen in der DDR Angst machen.
SPIEGEL: Die plötzliche Übertragung unserer Verhältnisse nach drüben macht Angst.
SCHÄUBLE: Ich würde versuchen, meine Gesprächspartner zu überzeugen, daß solche Ängste gar nicht begründet sind.
SPIEGEL: Zur Wirklichkeit der DDR gehört auch die Fristenlösung für den Schwangerschaftsabbruch. Kann die nach der Vereinigung fortgelten?
SCHÄUBLE: Das wird sicher eine der schwierigen Fragen sein, weil das verfassungsrechtliche Probleme aufwirft. Aber insoweit werden wir eine Überleitungsregelung finden müssen.
SPIEGEL: Nach Ablauf dieser Frist soll die hiesige Indikationspraxis uneingeschränkt auch im ehemaligen DDR-Gebiet gelten?
SCHÄUBLE: In dieser Sache ist es schwierig, einen Kompromiß zu finden. Es hat wenig Sinn, am Anfang dieses Prozesses zu sagen, wie das Ergebnis aussehen wird.
SPIEGEL: Könnte vielleicht ein Selbstbestimmungsrecht der Frau als Gewicht der Abwägung in das Grundgesetz aufgenommen werden?
SCHÄUBLE: Nein. Aber ich bin erst einmal für eine Phase der gemeinsamen Gespräche in Deutschland. Wir sind uns ja über das Ziel einig, daß menschliches Leben geschützt werden muß. Da werden wir uns auch über den Weg zu diesem Ziel einigen.
SPIEGEL: Was halten Sie von einer Neugliederung der Länder?
SCHÄUBLE: Diese Notwendigkeit wird beim Beitritt der DDR mit fünf weiteren Ländern noch dringlicher. Das ist lang- oder mittelfristig gar keine Frage, auch aus folgendem Grund: Sonst würde die willkürliche innerdeutsche Grenze in Form von künftigen Ländergrenzen praktisch über die Einheit Deutschlands hinweg festgeschrieben.
SPIEGEL: Wie sollte die neue Gliederung aussehen?
SCHÄUBLE: Darüber muß ein gesamtdeutsches Parlament entscheiden. Aber 16 Länder in der Bundesrepublik von unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungskraft, das ist ein Zustand, der von meinen Idealvorstellungen weit entfernt ist.
SPIEGEL: Wird am Ende eine Volksabstimmung über die Verfassung stattfinden?
SCHÄUBLE: Die Menschen in der DDR haben bei den Wahlen ihren Willen klar zum Ausdruck gebracht, daß sie diesem geltenden Grundgesetz beitreten wollen.
SPIEGEL: Die haben sich am 18. März für Parteien entschieden, nicht für das Grundgesetz, das sie kaum kennen.
SCHÄUBLE: In der Tat wurden Parteien gewählt, die sich aber auf einen möglichst raschen Beitritt der DDR festgelegt hatten. Und die haben eine breite Mehrheit bekommen.
SPIEGEL: Sie haben derzeit Schwierigkeiten mit dem noch selbständigen Staat DDR, weil die dortigen Richter die mutmaßlichen RAF-Terroristen, die Unterschlupf bekommen haben, nicht an ihre bundesdeutschen Kollegen abgeben wollen.
SCHÄUBLE: Es gibt keine Schwierigkeiten. Wir möchten zwar gerne die Terroristen unter Anklage stellen, aber wenn die DDR die Prozesse selbst durchführt, ist das auch in Ordnung.
SPIEGEL: Es gäbe immerhin die Möglichkeit, den Artikel 33 der DDR-Verfassung zu streichen, der eine Zulieferung ausschließt.
SCHÄUBLE: Ich halte die Grundannahme dieses Artikels 33, daß die Bundesrepublik für die DDR Ausland ist, für so falsch, daß ich schon völlig unabhängig von der derzeitigen Situation der Überzeugung bin, die Volkskammer sollte das so rasch wie möglich ändern.
SPIEGEL: Wurde darüber schon mit der DDR-Regierung geredet?
SCHÄUBLE: Sicherlich haben wir auf diese Möglichkeiten hingewiesen, aber solche Ratschläge braucht die DDR nicht.
SPIEGEL: Gesetzt den Fall, die inzwischen gefaßten RAF-Mitglieder hätten aus der DDR heraus keine weiteren Straftaten begangen: Die DDR hätte dann, zumindest im Ergebnis, dazu beigetragen, weiteres Unheil zu verhüten.
SCHÄUBLE: Das ist eine merkwürdige Art, auf Mordtaten zu reagieren.
SPIEGEL: Auch Ihr Vorgänger Friedrich Zimmermann wollte mit einer Kronzeugenregelung selbst Terroristen frei ausgehen lassen, die gemordet haben.
SCHÄUBLE: Auch ich habe für eine solche Lösung plädiert, weil es ein Weg sein könnte, neue Verbrechen zu verhindern.
SPIEGEL: Susanne Albrecht und ihre Freunde haben friedlich in ihren Kleinbürgersiedlungen gewohnt, könnte der Verteidiger vortragen.
SCHÄUBLE: Am Ende sollen wir uns auch noch bedanken und die Kosten erstatten für die Unterbringung dieser Leute? Wenn ein Staat gemeine Mörder mit neuen Identitäten ausstattet, so finde ich das empörend.
SPIEGEL: Bei allem Verständnis für Ihre Empörung möchten wir auf einen unbestrittenen polizeilichen Grundsatz verweisen: Danach ist nicht die Bestrafung der Täter das Entscheidende, sondern die Abwehr von künftigen Gefahren.
SCHÄUBLE: Das ist wirklich absurd, in dieser Art rabulistisch zu argumentieren. Es geht um schlimme Morde, Heimsuchungen unserer rechtsstaatlichen Ordnung. Sicher, die Polizei hat sich um Gefahrenabwehr zu kümmern. Dem Strafrecht aber liegt der Gedanke der Sühne und des Rechtsfriedens zugrunde. Natürlich gibt es auch eine Güterabwägung. Sie haben die Kronzeugenregelung angesprochen. Aber das ist eine ganz andere Sache.
SPIEGEL: Ein weiteres Problem der Vergangenheitsbewältigung: Wird es eine Amnestie geben für Spione?
SCHÄUBLE: Ein schwieriges Thema, rechtlich, tatsächlich, politisch. Aber es wird am Ende in einem vereinten Deutschland ein Weg eröffnet werden müssen für Delikte, die durch die Teilung bedingt sind, also insgesamt für die nachrichtendienstliche Aufklärung oder Spionage.
SPIEGEL: Unterstellt, ein Staatssekretär Ihres Hauses hätte als Kundschafter für die DDR gearbeitet. Soll der straffrei ausgehen?
SCHÄUBLE: Auf jeden Fall könnte er nicht im Amt bleiben. Vielleicht kommen wir zu einer Lösung, die heißt: Wer sich selber offenbart, hat eine Chance der Straffreiheit.
SPIEGEL: Soll das gleichermaßen gelten für DDR-Bürger, die für ihr Land arbeiteten, und für Bundesbürger, die womöglich ihrem Land schadeten?
SCHÄUBLE: Das sind so die Fragen, die gegenwärtig wahnsinnig schwierig zu beantworten sind. Deswegen dauert die Sache auch länger, als ich es gerne hätte. Von Straffreiheit würde ich nur bestimmte Fälle, die über den Tatbestand der Spionage hinausgehen, ausnehmen. Wer etwa dafür gesorgt hat, daß jemand hingerichtet oder verschleppt worden ist . . .
SPIEGEL: Sie meinen Spionagechef Markus Wolf?
SCHÄUBLE: Wer die Leute in der DDR ans Messer geliefert hat . . .
SPIEGEL: Der übergelaufene Verfassungsschutz-Mann Tiedge?
SCHÄUBLE: Ich kenne die ganze Spionage-Nachkriegsgeschichte nicht in ihren Details. Aber solche Leute können nicht mit Straffreiheit rechnen. Das muß aber alles erst untersucht werden, und die Abgrenzungen sind im einzelnen ungeheuer schwierig.
SPIEGEL: Was soll mit den Richtern geschehen, die mit maßlos hohen Strafen jede Opposition zu unterdrücken suchten?
SCHÄUBLE: Man wird zu prüfen haben, was im Einzelfall durch die Rechtsordnung gedeckt war. Wir können ja nicht rechtlich den Menschen vorwerfen, daß sie keine Widerstandskämpfer waren. Wir werden nicht nur bei Richtern, sondern bei vielen anderen Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung in der DDR die Frage der persönlichen und fachlichen Qualifikation zu prüfen haben. Im übrigen empört mich im Augenblick am meisten die Aktenwäscherei.
SPIEGEL: Aber wenn aus diesen Akten Ergebnisse der Schnüffelpraxis entfernt werden, ist das nicht verständlich?
SCHÄUBLE: Ich will da nicht falsch verstanden werden. Aber wenn berichtet wird, daß die Leute sich eine neue Vergangenheit schaffen können durch Frisieren der Personalakten, dann finde ich das ungut. Am Ende aber wird sich erweisen, daß wir die sozialistische Vergangenheit in der DDR nicht Punkt für Punkt mit vollständiger Gerechtigkeit werden aufarbeiten können.
SPIEGEL: Sollen die Mauerschützen vor Gericht?
SCHÄUBLE: Tötungshandlungen gehören zu den schwersten Delikten überhaupt. Ich denke, daß man hier nicht von vornherein einen Schlußstrich ziehen darf.
SPIEGEL: Sehen Sie kein Problem darin, daß Richter der Bundesrepublik demnächst darüber entscheiden, und zwar nach Maßstäben, die drüben in 40 Jahren nicht gegolten haben?
SCHÄUBLE: Ich wäre sehr froh, wenn wir mit der Bewältigung dieser Fragen nichts zu tun hätten. Nur: Auch dies wird unsere gemeinsame Vergangenheit sein.
SPIEGEL: Aber unser Strafanspruch soll im Nachhinein auch bei Fällen gelten, die durch DDR-Gesetz gedeckt waren?
SCHÄUBLE: Das war Teil des Unrechtsystems, daß Leute erschossen wurden, bloß weil sie von einem Teil Deutschlands in den anderen wollten.
SPIEGEL: Über die moralische Seite wollen wir nicht streiten.
SCHÄUBLE: Das kann durch noch so viel Rabulistik nicht in Recht verwandelt werden. Dies empfinden gerade die Menschen in der DDR. Warum denn sonst hätten sie eine Revolution gemacht? Durch Berufung auf Gesetze und Befehle haben sich auch die Nazi-Verbrecher verteidigt. Das ist pervertierter Rechtspositivismus.
SPIEGEL: Wollen Sie den Massenmord an Juden mit Schüssen an der Grenze gleichstellen?
SCHÄUBLE: Nein, wir wollen nicht falsche Fronten aufbauen. Ich sage nur: Es gibt einen Grundbestand an Rechtsstaatlichkeit, der unabhängig von der jeweiligen Rechtsordnung besteht.
SPIEGEL: “Laßt uns die Vergangenheit vergessen und uns darauf konzentrieren, was wir heute und in Zukunft aufbauen können”, hat der südafrikanische Schwarzen-Führer Nelson Mandela in einem SPIEGEL-Gespräch gesagt.
SCHÄUBLE: Wenn die Opfer selber, wie Nelson Mandela, zum Vergessen bereit sind, habe ich davor die höchste Achtung. Ich glaube aber nicht, daß mir ein solcher Aufruf zusteht.
SPIEGEL: Herr Schäuble, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.