Adam Lauks- ungesühntes Folteropfer der STASI ( MfS ) – ist so frei sich an die Beiträge des Professor Rainer Mausfeld anzulehnen.
Über die Beiträge der Psychologie zur Entwicklung von Techniken der ‘weißen Folter’(*)
Von Rainer Mausfeld, April 2009
“Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt.” Jean Améry
Vor 60 Jahren, am 10. Dezember 1948, kamen die Regierungsvertreter aller UN-Staat-en zusammen, um eine Erklärung zu verabschieden, in der sie sich – noch im Banne des unmittelbaren Erschreckens darüber, wozu der Mensch fähig ist – auf die Formulieru-ng von Werten verständigten, deren Gültigkeit weltweit zu beanspruchen sei: auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Der Akt selbst und die (trotz der Viel-zahl sich auch weiterhin unversöhnlich gegenüber stehenden Weltanschauungen) Einmüt-igkeit bei der Verabschiedung so weitreichender Normen der Gleichheit, Gerechtig-keit und Rechtsstaatlichkeit erscheinen im Rückblick als ein besonderer historischer Glücksfall in der Kulturentwicklung des Menschen. Auch wenn 1948 der Zweite Weltkrieg und der Holocaust ein Ende gefunden hatten, formuliert allerdings diese Erkläru-ng kaum mehr als eine Rechtsutopie. In dem Jahr, in dem die Allgemeine Erklä-rung der Menschenrechte verabschiedet wurde, konnte der Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit nicht krasser sein:
-Mahatma Gandhi wurde ermordet,
-es begann die ethnische Säuberung Palästinas (1)
-und der Aufbau eines südafrikanischen Apartheitsstaates –
Vorgänge, die, wie viele spätere, ihre Wurzeln im imperialistischen Weltbild des europäi-schen Kolonialismus und in dem mit ihm verbundenen rassistischen Menschenbild hatt-en. (2) Die Idee allgemeiner Menschenrechte steht ihrem Wesen nach in einem unversöh-nlichen Gegensatz zu der jedem rassistischen Denken zugrunde liegende Annahme, daß es Volks- und Kulturgruppen gebe, die verglichen mit uns minderwertig seien und denen wir somit das an Menschenwürde und Menschenrechten verwehr-en könnten, was wir für ‘Unseresgleichen’ als selbstverständlich beanspruchen. Auch die Folter wäre nicht denkbar ohne eine Kategorisierung “that divides man into torturable and non-torturable“ (Amnesty International, 1973, S. 27).
Heute, 60 Jahre später, besteht zwischen dem in der Erklärung formulierten Anspruch und der Wirklichkeit immer noch eine erschreckend große Kluft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war man sich zwar über eine absolute Unzulässigkeit der Folter in einer zuvor kaum für denkbar gehaltenen Weise einig gewesen, zugleich jedoch habe, wie Amnesty International bereits 1973 im Report on Torture feststellte, die Aus-übung der Folter epidemische Ausmaße erreicht. Die Folter, die lange Zeit ein Nischendas-ein geführt habe, “has suddenly developed a life of its own and become a social cancer“.(3) 2007 dokumentierte Amnesty International in mehr als 81 Ländern Fälle von systematischer Folter.
Wo wurde die systematische Folter in der DDR dokumentiert – bis jetzt nach 32 Jahren? ( AL* )
Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist also groß. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch oder Physicians for Human Rights dokumentieren sie kontinuierlich und im Detail. Warum findet die Tatsache, daß tagtäglich in gravierender Weise, auch in unserem gesellschaftlichen Verantwortungsbereich, Werte verletzt werden, die wesentlich unserem kulturellen Selbstverständnis zugrunde liegen, so wenig Aufmerksamkeit? Wir neigen vermutlich dazu, diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit durch Wegschauen, also durch Verleugnen oder Verdrängen, zu bewältigen. Um so wichtiger ist es, zunächst die Tatsachen festzuhalten und den Blick auf jene politischen Vorgänge und Prozesse zu richten, die diskrepant zu unseren Normen und Werten sind.
Vor Jahren besuchte ich Amnesty International Deut-schland in Berlin und in einem Gesp-räch mit einer Frau schilderte ich ihr die Folterungen in einer Schlichtzelle im Keller des Haus 8 in der StVE Berlin Rummelsburg, in der Hoffnung dass sie den Fall erfassen wird. Zum Schluß sagte sie mir, dass Amnesty Deutschland an der Folter der DDR Judikative i Exekutive ( des MfS ) nicht interessiert sei und das Amnesty nur die Folter im Ausland dokumentiert (!?) AL*
Wie leicht es uns fällt wegzuschauen, möchte ich am Beispiel einer Fallstudie illustrieren, nämlich an der Beteiligung von Psychologen an der Entwicklung und Durchfüh-rung von Methoden der sog. weißen Folter in Guantánamo. Tatsächlich handelt es sich um eine ganze Periode in der Geschichte der Psychologie, in der sie wesentlich an der Entwicklung von Techniken nicht unmittelbar sichtbarer Folter beteiligt war. In den Fokus der Öffentlichkeit gelangten diese Vorgänge im Jahre 2007, als die mit etwa 150.000 Mitgliedern größte psychologische Berufsvereinigung der Welt, die Americ-an Psychological Association (APA) bekundete, daß die Mithilfe von Psychologen bei der Entwicklung von ‘alternativen Verhörtechniken’ und an der Ausbildung von Verhörexper-ten “ein wertvoller und ethisch gerechtfertigter Beitrag ist, um Schaden von unserer Nation, anderen Nationen und unschuldigen Zivilisten abzuwenden”.
Diese Fallstudie scheint auf den ersten Blick nur eine bestimmte Berufsgruppe, die Psychologen, zu betreffen. Auch stellt sie gemessen an der Schwere anderer tagtäglicher Menschenrechtsverletzungen kaum mehr als eine Randnotiz dar. Gleichwohl vermag sie politische Prozesse und psychologische Mechanismen transparent zu machen, die von allgemeinem Interesse sind sowohl für den Prozeß der rechtlichen Verankerung von Menschenrechten wie auch für unser Verständnis der politischen Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern.
In den vergangenen Jahrzehnten hat es erhebliche Bemühungen gegeben, die Folter für die Öffentlichkeit gleichsam unsichtbar zu machen. Die dabei entwickelten Technik-en werden als clean torture, no-touch torture, stealth torture, white tortu-re oder psychological torture bezeichnet. Diese Bemühungen sind eng verknüpft mit der Entwicklung demokratischer Rechtsstaaten und der mit ihnen verbundenen größeren Öffentlichkeitskontrolle. Darius Rejali hat in einer umfass-enden Studie aufgezeigt, daß “historically, clean torture and democracy go hand in hand.” (Rejali, 2007, S. 44). Mit dieser Entwicklung hat sich das Gesicht der Folter geändert: “Every effort is made to leave no marks.” (Amnesty International, 1973, S.29)
Die Fallstudie über die Beteiligung von Psychologen an der Entwicklung kaum sichtbarer Foltertechniken betrifft also nicht nur die Berufsgruppe der Psychologen, sondern uns alle als Bürger eines demokratischen Rechtsstaates. Denn es geht, über den konkreten Fall hinaus, darum, wie wir mit Verletzungen fundamentaler Rechtsnormen in unserer Gesellschaft umgehen und in welchem Maße wir für solche Verletzungen mitverantwortlich sind. Da wir die Normen und Werte, die im Kern unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses stehen, nicht aufgeben wollen und zugleich ihre Verletzungen nicht gänzlich verleugnen können – zumal wenn sie, wie in der hier herangezogenen Fallstudie, in der Tagespresse so gut dokumentiert wurden – neigen wir dazu, die dadurch auftretende Spannung durch die Ausbildung von Doppelstandards zu bewältigen. Es wird also im folgenden auch um die Natur und die Mechanismen von Doppelstandards bei der Bewertung unserer Werte und Normen gehen. Bevor ich auf Hintergründe und Details dieser Fallstudie zu sprechen komme, will ich mich dem Thema der Folter aus einer etwas breiteren Perspektive nähern.
Die menschliche Befähigung zur Folter
Die Natur hat den Menschen mit einem ‘Möglichkeitsorgan’ ausgestattet, nämlich mit einem Gehirn, dessen Potential weit über das hinaus geht, was zum Zeitpunkt seiner evolutionären Entstehung adaptiv nötig oder sinnvoll war. So tritt Homo sapiens versehen mit einem Instrument in die Evolutionsgeschichte ein, dessen Möglichkeitsraum er erst explorieren muß – zunächst unendlich langsam, dann durch eine kulturelle Hebelwirkung beschleunigt. Fast Hunderttausend Jahre benötigte er, um nur ein folgenreiches Beispiel zu nennen, bis er von der ihm biologisch gegebenen Fähigkeit, Mathematik und abstrakte Naturwissenschaft zu betreiben, systematischen Gebrauch machte. Anderes in seinem biologisch einzigartigen Möglichkeitsraum entfaltete sich rascher. Früh erkannte Homo sapiens, daß er befähigt ist, die Natur nicht nur als etwas Gegebenes zu betrachten, in das er sich als Jäger und Sammler einzufügen hat, sondern als etwas, das man wie einen Gegner unterwerfen und wie ein Werkzeug nach seinen Intentionen formen kann. Ebenso früh erkannte er, daß er befähigt ist, auch Seinesgleichen als Werkzeug zu betrachten und seinen Intentionen zu unterwerfen – eine in der Natur einzigartige Befähigung und die Grundlage zur Entwicklung von Krieg, Sklaverei und Folter. Die Befähigung zur Folter läßt sich geradezu als ein Humanspezifikum betrachten, wie das Lachen, die Kunst oder die Sprache.
In der Kulturentwicklung, in welcher der Mensch den Möglichkeitsraum seines Gehirns weiter explorierte, mußte er – sehr langsam und auf der Basis unendlich leidvoller Erfahrungen – zunehmend erkennen, daß sich Homo sapiens vor allem dadurch auszeichnet, daß sein destruktives Potential bei weitem die Möglichkeiten seiner ihm natürlich verfügbaren Kontrollmechanismen überschreitet. Mühsam und immer wieder erschrocken über das, wozu er offensichtlich befähigt ist, suchte er daher, seine eigenen Möglichkeiten einem Prozeß der rationalen Kontrolle zu unterwerfen und sie durch eine Verrechtlichung seiner Beziehungen zu bändigen. In diesem Prozeß der rationalen Selbstbestimmung gelangte er zu der Vorstellung der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen – also zur Idee universeller Menschenrechte – und zu dem normativen Ideal, daß der Mensch ein Zweck an sich sei und damit nicht als bloßes Mittel gebraucht werden darf.
Eine solches Verständnis seiner selbst, also die Universalität dieses Anspruchs, konnte der Mensch nur durch die Vernunft erlangen. Gleichwohl stehen in seinem Zentrum die Gefühle, genauer unsere Befähigung, Erfahrungen durch die Augen des anderen machen zu können, also unsere Befähigung zur Empathie.
Daß wir trotz dieser Befähigung zur Empathie einen so langen und leidensreichen Weg zurücklegen mußten, ehe wir bereit waren, uns universellen ethischen Prinzipien verpflichtet zu fühlen, hängt mit der Art und Weise zusammen, in der wir unsere Identität bestimmen. Es ist im Alltag kaum die biologische Kategorie ‘Mensch’, die wir als identitätsstiftend ansehen. Es sind vielmehr Unterschiede und Differenzierungen zu anderen, die ein- und abgrenzen, was ein jeder als ‘Meinesgleichen’ zu akzeptieren bereit ist. Für die Gruppe derjenigen, die wir als ‘Unseresgleichen’ ansehen, haben wir keine Schwierigkeit, Erfahrungen durch die Augen der anderen zu machen und so elementare Grundsätze für ihre Menschenwürde anzuerkennen. Warum aber sollte jemand, der sich nicht als Muslim, nicht als Jude, nicht als Schwarzer, nicht als Frau, nicht als Schwuler ansieht, jenen fremden Anderen gleiches zugestehen? Ihm muß die Idee einer universellen Menschenwürde als eine Zumutung erscheinen. Und sie war und ist es in der Tat, wie die Geschichte vielfach belegt. Es kennzeichnet den Menschen, daß er eine einzigartige Flexibilität darin hat, auf der Basis nahezu x-beliebiger Merkmale, sei es Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, etc. etc., andere aus der Kategorie ‘Meinesgleichen’ auszugrenzen und ihnen das zu verwehren, was er als elementare Menschenwürde für die als ‘Seinesgleichen’ Empfundenen beansprucht.(4) Dies macht ihn unempfänglich für das Leid derjenigen, die er als ‘Nicht-Seinesgleichen’ ansieht, eine Gleichgültigkeit, die ihren stellvertretenden Ausdruck findet in der Antwort des Folterers an den um “un peu d’ humanité!” flehenden Gefolterten: “Pas d’humanité pour les Arabes!”(5)
Das absolute Folterverbot im internationalen Recht
Vor diesem anthropologischen Hintergrund wird es verständlich, daß der Mensch nur mühsam durch die Erfahrungen seiner Geschichte zur Anerkennung einer universell geltenden Menschenwürde kommen konnte. Es waren vor allem die durch den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust entstandenen Erfahrungen, die dazu geführt haben, die Schutzbalken des Rechtes gegen die Möglichkeiten, andere aus dem für ‘Meinesgleichen’ gültigen Normenbereich auszugrenzen, zu verstärken. Dem Folterverbot wurde dabei eine besondere Bedeutung beigemessen. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 stellt in Artikel 5 fest: “Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.” Entsprechend untersagen die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte von 1953, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1976 und das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984 Folterhandlungen bzw. deren Androhung. Menschen dürfen auch nicht in Gebiete überstellt werden, in denen sie einer Foltergefahr ausgesetzt sind.
Unter Folter zu verstehen ist dabei “jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden”. Eine solche Definition ist zweifellos unscharf, lückenhaft und somit rechtspraktisch und rechtsphilosophisch hochgradig defizitär – eine nicht seltene Situation in der Rechtsentwicklung; gleiches gilt etwa für Sklaverei, Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Jedoch stellt diese Definition mit der Fokussierung auf eine Extremform grausamer und entwürdigender Behandlung einen ersten Versuch dar, eine untere konsensfähige Schranke zu formulieren, hinter die die Weltgemeinschaft nach den historischen Erfahrungen nicht zurückgehen sollte. Daher sind es auch weniger rechtsphilosophische Erwägungen als vielmehr historische Erfahrungen, die dafür sprechen, Ausnahmen vom Folterverbot nicht zuzulassen. Diese Absolutheit des Folterverbotes wird in dem UN-Übereinkommen von 1984 unmißverständlich formuliert: “Außergewöhnliche Umstände, gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innere Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden.” (6) Das absolute Folterverbot ist unabdingbarer Kernbestand sowohl des allgemeinen Menschenrechtsschutzes wie auch des humanitären Völkerrechts und aller internationalen und nationalen Rechtsordnungen.
Folter stellt also einen Angriff auf ein Rechtsgut dar, das nicht relativ, sondern absolut schützenswert ist. Das Folterverbot gestattet keinerlei Ausnahmen – auch nicht im Falle eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht – und schließt grundsätzlich eine Abwägung mit anderen Rechtsgütern aus. Es setzt damit der Nothilfebefugnis des Staates und dem grenzenlosen Streben nach Sicherheit eine absolute rechtsstaatliche Grenze. Die jedem staatlichen Machtanspruch innewohnende totalitäre Versuchung muß diese Absolutheit aus Sicht des einzelnen Staates zwangsläufig als Zumutung erscheinen lassen, denn mit ihr gäbe es einen Maßstab für staatliches Handeln, der selbst dem staatlichen Zugriff entzogen ist.
So verwundert es nicht, daß sich in jüngerer Zeit eine zunehmende Zahl von Juristen findet, die dem Staat die mit dem Absolutheitsrang des Folterverbotes einhergehende Zumutung der Begrenzung seines Machtanspruchs zu ersparen suchen, indem sie diesen Absolutheitsrang als unberechtigt und als gleichsam rechtsphilosophische Entgleisung diffamieren. Der Harvard-Rechtsprofessor Alan Dershowitz kritisiert die “blasierte, selbstgefällige Bereitschaft, Folter öffentlich zu verurteilen”.(7) Da die Folter nun einmal weitverbreitet und zudem in Situationen einer extremen Sicherheitsgefährdung unumgänglich sei, müsse man ihre Praxis rechtlich regulieren. Das Verbot einer Güterabwägung sei weltfremd und unrealistisch und der Staat müsse in Sicherheitsfragen die Möglichkeit haben, die Menschenrechte gegenüber der Sicherheit zurücktreten zu lassen, wenn dadurch Menschenleben gerettet werden können. Es fällt nicht schwer, derartigen Auffassungen dadurch eine vermeintliche Plausibilität zu verleihen, daß man geeignete hypothetische Extremsituationen – sog. ticking bomb- Szenarien – konstruiert, mit denen sich moralische Fragen und rechtliche Fragen in einen vermeintlichen Gegensatz setzen lassen.(8) Derartige Szenarien sollen mit ihrem Appell an einen moralischen common-sense ein Foltern auf Verdacht zur Abwendung einer vorgestellten Gefahr als gerechtfertigt erscheinen lassen. Zugleich sollen sie durch die mit ihnen verbundene massenmediale Angsterzeugung die Bevölkerung an die Normalität staatlicher Normbrüche gewöhnen.
Dershowitz und andere schlagen die Einführung einer gerichtlich kontrollierten Folter vor, die nur unter strengsten Kriterien Anwendung finden dürfe (9) – womit natürlich stets die jeweils für die eigenen Belange passenden Kriterien gemeint sind.(10) Obwohl die Idee der rechtlichen Regulierung einer präventiven Folter, die aus fiktiven Extremfällen allgemeine Rechtsnormen zu deduzieren sucht, eine rechtswissenschaftlich abstruse Konstruktion ist und darüber hinaus ein entsprechendes ‘Foltergesetz’ so beschaffen wäre, daß erst aus den Konsequenzen der jeweiligen Situation folgen würde, ob seine Anwendung zulässig war, hat sie auch in der deutschen Rechtswissenschaft zahlreiche Anhänger gefunden.
‘Präventivfolter’ und Menschenwürde
Der Heidelberger Rechtswissenschaftler Winfried Brugger (2000; s.a. 2006) bedauert die “eminent starken Widerstände” gegen die Idee eines staatlichen Folterrechtes, die “vermutlich in der Erfahrung des Dritten Reiches” wurzelten, “das nach wie vor einen langen und düsteren Schatten auf Themen wie Folter wirft und das Ergebnis differenzierungslos vorherbestimmt.” Das klingt, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 10.3.2003 kommentierte, “als hätten die Nazis eine ansonsten durchaus vernünftige Verhörmethode diskreditiert. Zu den Schandtaten der Nazis zählt demnach auch, daß man ihretwegen sich in Deutschland nicht unvoreingenommen über Folter unterhalten könne”. Der Mainzer Rechtswissenschaftler Volker Erb (2005) sieht in der Absolutheit des Folterverbots gar den “Geist des Totalitarismus” und eine sicherheitspolitische Selbstabdankung des Staates. Der Hamburger Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel (2008) argumentiert, der durch eine staatliche ‘Rettungsfolter’ Bedrohte “bedroht sich mit der Folter, die ihm für den Fall seiner fortgesetzten Weigerung angedroht wird, selbst. Er hat es vollständig in der eigenen Hand, die Prozedur der Schmerzzufügung zu verhindern oder zu beenden.” Diese Auffassung gibt deskriptiv annähernd korrekt die übliche staatliche Rechtfertigungsrhetorik für Folter wieder. Sie wird daher, wie das leider reiche Datenmaterial belegt, wenig überraschend von all jenen Staaten geteilt, in denen ‘übergeordnete Sicherheitsinteressen’ zur Rechtfertigung von Folterungen geltend gemacht werden.
Ansatzpunkte für eine rechtswissenschaftliche Begründung solcher Positionen eröffnen sich in dem Maße, wie man bereit ist, sich ‘endlich’ von der ‘veralteten’ und rechtswissenschaftlich ‘problematischen’ Idee einer Konzeption von Menschenwürde zu verabschieden, die vor und über spezifischen Rechten steht und als Fundierungsprinzip angesehen wird, dem zufolge das gesamte Recht unter dem Vorzeichen der Würde des Menschen zu stehen hat. Ist man zu einem solchen ‘Neuansatz’ bereit, werden in Rechtsdogmatik geschulte Rechtswissenschaftler kaum Schwierigkeiten haben, geeignete Begriffsunterscheidungen und ‘Nuancierungen’ zu schaffen, durch die sich ein Begriffsrahmen bereitstellen läßt, der für Abwägungen von Verletzungen der Menschenwürde mit Sicherheitsinteressen des Staates offen ist. Ein für den Schutz der ‘Handlungsfähigkeit’ staatlicher Organe hinreichend flexibler ‘Neuansatz’ ergibt sich etwa daraus, daß man die Notwendigkeit geltend macht, bei einem Verständnis der Menschenwürde ‘Kernbereiche’, die keiner Abwägung mit anderen Gütern zugänglich sind, von ‘Randbereichen’ zu unterscheiden. Faßt man sodann den ‘Kernbereich’ eng genug, indem man etwa Eingriffe in den ‘Würdekern’ nur unter so extremen Bedingungen wie Verfolgungen in totalitären Regimen, Völkermord oder Massenvertreibungen als gegeben sieht, so kann es in unserer demokratischen Gesellschaft schon rein begrifflich nur Verletzungen geben, die dem ‘Randbereich’ zuzurechnen sind und die somit einem abwägenden Ausgleich mit anderen Gütern zugänglich sind. Postuliert man nun, daß die Absolutheit des Folterverbotes sich nur auf Situationen beziehen könne, die mit einer Verletzung des ‘Würdekerns’ verbunden seien, so kann, auf der Basis einer solchen Neukalibrierung eines Referenzsystems für die Menschenwürde, die Absolutheit des Folterverbotes für die deutsche Verfassungswirklichkeit keine Gültigkeit beanspruchen. Folter in demokratischen Rechtstaaten wird damit ‘nach abwägender Würdigung aller Umstände’ nicht nur zu einem zulässigen, sondern unter Umständen sogar – als ‘Präventionsfolter’ im Präventionsstaat – zu einem notwendigen Instrument staatlicher Organe.
Eine derartige ‘Korrektur’ der mit dem absoluten Folterverbot hervorgebrachten rechtsphilosophischen ‘Fehlentwicklung’ scheint auch in Deutschland mehr und mehr den verfassungspolitischen Diskurs zu bestimmen. Ein Verweis auf fiktive Extremsituationen, wie ticking bomb-Szenarien, soll helfen, sie konsensfähig zu machen. Mit derartigen moralischen Lackmustests lassen sich mühelos ‘verantwortungsvolle’ Intellektuelle von ‘Menschenrechtsideologen’ trennen. Diejenigen, die vor dem Hintergrund eines erdrückenden Maßes an historischen Erfahrungen die Menschenwürde nicht für eine Abwägung mit vorgeblich übergeordneten Gütern freigeben wollen und auf dem Absolutheitscharakter des Folterverbotes bestehen, lassen sich dann leicht als moralische Fundamentalisten verunglimpfen, die sich einem ‘verantwortungsvollen Abwägen’ durch ein ‘unverantwortliches’ Beharren auf einer rigiden Gesinnungsethik zu entziehen suchten.
Diese auf die Abschaffung des Absolutheitsranges des Folterverbotes zielende Diskussion hat ihren Niederschlag in zahlreichen Arbeiten und Büchern gefunden. Von “eminent starken Widerständen” gegen die Idee eines staatlichen Folterrechtes wird man dabei kaum sprechen können; vielmehr sind wir gegenwärtig auf dem Wege – ganz im Einklang mit der Forderung von Innenminister Schäuble, daß es in Fragen der inneren Sicherheit “keine Tabus und Denkverbote” geben dürfe -, endlich wieder ein ‘unverkrampfteres Verhältnis’ zur Anwendung von Folter zu finden.(11)
Euphemismen für die Folter
Neben diesen Versuchen, den Absolutsheitsrang des Folterverbotes für unberechtigt zu erklären, gibt es Versuche, ihn definitorisch zu unterlaufen. Verteidiger einer Verhörpraxis, die folterähnliche Methoden zuläßt, sind durch den Absolutheitsrang des Folterverbotes gerade in demokratischen Rechtsstaaten darauf angewiesen, die Methoden ihrer Verhörpraxis begrifflich so zu fassen, daß sie durch die semantischen Ritzen zwischen eigentlicher Folter und grausamer und entwürdigender Behandlung schlüpfen können und sich als Noch-Nicht-Folter klassifizieren lassen. Beispielsweise war das amerikanische Justizministerium der Auffassung, daß Handlungen von einer extremen Art sein müssen, um als Folter zu gelten; physische Schmerzen bei Folter müßten genauso intensiv sein wie der Schmerz bei schwersten physischen Verletzungen oder etwa einem Organversagen; die Zufügung von Schmerzen, die nicht so extrem sind, sei, technisch gesprochen, überhaupt keine Folter, sondern lediglich unmenschliches und erniedrigendes Verhalten, und entzöge sich damit den rechtlichen Sanktionen gegen die Folter. Das 2002 von der UNO beschlossene Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter macht indes deutlich, daß es eine solche kategoriale Unterscheidung nicht gibt.(12)
Gleichwohl wird diese Unterscheidung und die Definition von Folter als eine Extremform grausamer und unmenschlicher Behandlung häufig dazu benutzt, den Absolutheitsrang des Folterverbotes semantisch zu unterlaufen. Wie Amnesty International (1973, S. 30) feststellte: “Given that the word ‘torture’ conveys an idea repugnant to humanity, there is a strong tendency by torturers to call it by another name.” Für den Terminus Folter gilt dasselbe wie für die Begriffe ‘Terrorismus'(13), Kriegsverbrechen’ oder ‘Verbrechen gegen die Menschlichkeit’. Diese Begriffe werden stillschweigend in asymmetrischer Weise verwendet: Mit ihnen werden die Verbrechen der anderen bezeichnet, während für die gleichen Handlungen, die man selbst begeht, andere Begriffe in Anspruch genommen werden.(14) Auch für die Folter gilt: Foltern tun immer die anderen. Wir greifen nur zu ‘besonderen Maßnahmen’ und sind dabei zudem legitimiert durch Motive, die ihre Rechtfertigung in sich selber tragen, wie ‘Selbstverteidigung'(15) ‘Verbreitung demokratischer Werte’ oder ‘Sicherheitsinteressen des Staates’. Die Rechtfertigung der Folter folgt daher stets demselben Muster: Die hohen Werte zivilisierter und anständiger Menschen seien durch Personen bedroht, die skrupellose und barbarische Mittel einsetzten, um ihre ‘bösen’ Ziele zu erreichen; nur durch den Einsatz ähnlicher Mittel könne man dies vereiteln und die eigenen Werte schützen.(16)
Frankreich zog zur Rechtfertigung seiner Massenfolterungen im Algerienkrieg verschiedene Euphemismen heran; es sprach von “speziellen Verhörmethoden”, die zur Gewinnung von “lebenswichtigen Informationen” im Kampf gegen den “Terrorismus” der FLN notwendig seien. Allein für eines der größten Folterzentren, die ferme Améziane, wird die Zahl der Folteropfer auf über Hunderttausend geschätzt.(17)
Großbritannien nannte im Nordirlandkonflikt seine Verhörmethoden “interrogation in depth”. Bei diesen Verhörmethoden, die auch als “five techniques” bekannt sind, wurden den Männern undurchsichtige Kapuzen über den Kopf gezogen, und ihre Zellen, in denen sie bis zu 16 Stunden ununterbrochen breitbeinig mit Händen über dem Kopf an der Wand stehen mußten (sog. “Streßpositionen”), wurden mit preßlufthammerartigem Lärm beschallt.(18) Zudem durften sie bis zu 70 Stunden nicht schlafen.(19) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kam 1978 im Fall Irland gegen Großbritannien zu der Auffassung, daß die angewandten Verhörtechniken als einzelne noch keine Folter darstellten, jedoch als Folter aufgefaßt werden könnten, wenn man sie in Kombination anwenden würde. Mit den “Fünf Techniken” deutet sich bereits eine für die staatlichen Institutionen vielversprechende Möglichkeit an, die Absolutheit des Folterverbotes dadurch zu unterlaufen, daß man die Verhörtechniken aus modularen Komponenten zusammenstellt.(20) Diese modularen Komponenten sollen dabei so beschaffen sein, daß sie sich einzeln genommen nicht als Folter klassifizieren lassen, daß sie jedoch in geeigneter Kombination angewandt den Willen des Gefangenen zu brechen vermögen. Eine solche modulare Konzeption von Folter ermöglicht es auch demokratischen Rechtsstaaten, nicht gänzlich auf die Vorteile des Machtinstrumentes der Folter verzichten zu müssen, da diese als Folter für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar bleibt. Und bei der Bestimmung geeigneter wirkungsvoller Module und ihrer optimalen Kombinationen hat die Psychologie ‘Interessantes’ anzubieten.
Israel spricht bei seinen Verhörmethoden von “moderate physical pressure” und “non-violent psychological pressure”.(21) Nach Schätzungen des Public Committee Against Torture in Israel (PCATI, 1999) wurden allein zwischen 1987 und 1994 über 23000 Palästinenser gefoltert, darunter Hunderte von Kindern (ADDAMEER, 2003). Zu den bis heute praktizierten Foltermethoden gehört auch die Scheinfolterung oder tatsächliche Mißhandlung von Angehörigen in der Nachbarzelle des Gefangenen.(22) Zwar wurden diese und andere Methoden 1999 vom israelischen Obersten Gerichtshof als Folter angesehen und ihre routinemäßige Anwendung verboten, zugleich jedoch ihre Anwendung unter “außergewöhnlichen Umständen”, insbesondere aus Gründen einer “security necessity”, für zulässig erklärt.(23)
Mit der Legalisierung von Folter unter “außergewöhnlichen Umständen” widerspricht Israels höchste nationale Rechtsprechung der 1991 auch von Israel ratifizierten UN-Konvention gegen Folter und der Absolutheit des darin gefaßten Folterverbotes. Alan Dershowitz’ Feldzug gegen den Absolutheitsrang des Folterverbotes steht in engem Zusammenhang mit dieser Rechtsauffassung; ihm gehe es, wie die FAZ vom 18.6.2004 notierte, allein darum, das internationale Recht der israelischen Praxis anzugleichen und diese damit rückwirkend akzeptabel zu machen.
Daß in einer westlichen Demokratie institutionell gestützte Menschenrechtsverletzungen derartiger Schwere und derartigen Ausmaßes vorkommen, ohne sonderliche Empörung in der Öffentlichkeit zu erregen, ist – besonders im Vergleich zur relativ breiten öffentlichen Reaktion auf Guantánamo – bemerkenswert.(24) Eine Analyse der Gründe wäre höchst aufschlussreich und würde uns unvermeidlich wieder mit unseren Mechanismen der Etablierung von Doppelstandards konfrontieren.(25)
Die USA sprechen seit 2002 von weiterentwickelten Verhörmethoden oder von innovativen und kreativen Verhörmethoden, wobei das berüchtigte Bybee-Gonzales Memorandum (26) von 2002 einen rabulistischen Höhe- und moralischen Tiefpunkt dieser semantischen Bemühungen markiert.(27) Die Verhörtechniken in Guantánamo seien “kreativ”, wie die Süddeutsche Zeitung (14.7.2005) aus einem internen Report des Pentagon berichtet, und auch “aggressiv”. Aber mit Folter habe das alles, dem Report zufolge, nichts zu tun, das ganze Gerede von Folter und Mißhandlungen sei haltlos. Zu den kreativen Methoden gehöre, daß muslimische Gefangene in Gegenwart von Soldatinnen ausgezogen wurden, Frauenunterwäsche tragen und wie Hunde Kunststücke vorführen mußten. Sie wurden mit roter Tinte eingerieben unter dem Hinweis, daß dies Menstruationsblut sei.
Wie bei den britischen “Fünf Techniken” sind auch hier die Verhörmethoden aus Komponenten aufgebaut, deren jede einzelne zwar als grausame und unmenschliche Behandlung einzustufen ist, die jedoch so konzipiert sind, daß sie in der Öffentlichkeit noch nicht als Folter im engeren Sinne wahrgenommen werden. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) vom 19. August 2007 beschreibt die in den Untersuchungsberichten aufgeführten modularen Verhörkomponenten so: “Es beginnt mit einem massiven Generalangriff auf die Sinne: donnernd laute Musik, Hundegebell, Stroboskop-Licht. Hinzu kommen quälende starre Körperhaltungen – in den Anweisungen für Guantánamo bis zur vier Stunden. Im nächsten Schritt wird ein Gefangener psychisch erniedrigt: Er wird nackt verhört, er muß in Frauenunterwäsche posieren, er wird von weiblichen Aufsehern beleidigt oder zum Masturbieren gezwungen. Ebenso beliebt ist, daß strenggläubige Personen ihre heiligen Schriften geschändet sehen.” Diese Methoden sind, wie die FAS schreibt, “Teil eines ausgeklügelten Programms mentaler Folter, das Psychologen im Dienste der amerikanischen Armee und der CIA seit 2002 weiterentwickelt haben, um Terrorverdächtige weichzuklopfen.” Dem Verhaltens-Organisationsmanual von Guantánamo – dem Behavior Management Plan – zufolge, dienten diese Methoden vor allem dazu,”die Desorientierung und Desorganisation des neuen Häftlings zu verstärken und auszunutzen”.(28)
Psychische Folter und die Frage der Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern
Die Diskussionen um die Haltung der APA werfen eine Reihe allgemeiner Fragen auf, die über den konkreten Fall hinausweisen. Auf zwei dieser Fragen will ich abschließend zu sprechen kommen. Die erste betrifft unsere offenkundige Schwierigkeit, psychische Folter auch als echte Folter wahrzunehmen und uns über ihre Anwendung in gleicher Weise zu empören wie über die der physischen Folter. Die Folgen psychischer Folter (65) sind mindestens ebenso tiefgehend und dauerhaft wie die der physischen Folter.(66) Physische Folter ist immer auch psychische Folter. Sie zielt jedoch nicht unmittelbar auf die Zerstörung der psychischen Integrität und läßt damit zumindest eine kleine Chance, daß sich ein intaktes Ich auch im Schmerz als vom Folterer unabhängig distanziert, sich einen Bereich erhält, über den der Folterer keine totale Macht hat. Solange die für die personale Integrität verantwortlichen psychischen Instanzen halbwegs intakt bleiben, besteht für das Folteropfer die Möglichkeit einer zumindest partiellen Bewältigung des erlittenen Traumas. Bei der unmittelbaren auf den Kern der personalen Identität zielenden psychischen Folter wird indes der Mensch als Person zerstört, nicht nur ein Teil seines Körpers.
Sowohl physische wie auch psychische Folter lassen sich nicht allein von der konkreten Ebene der Schwere der physischen oder psychischen Schmerzen her erfassen, die jemand einem anderen zufügt. Der Schlüssel zur Erfassung von Folter liegt vielmehr in der Art der durch sie hergestellten interpersonalen Situation.(67) In ihr erfährt sich der Gefolterte als ein vollständig rechtloses Objekt. Sie stellt die höchste Steigerungsform des Totalitären dar. Der vollständige Kontrollverlust und das grenzenlose Ausgeliefertsein einer Person an eine andere, die aus ihrer Sicht über eine gottgleiche Souveränität (68) über sie verfügt, ist das bestimmende Merkmal der Folter.(69) Durch die mit der Folter herbeigeführte Totalinstrumentalisierung einer Person zu einem Mittel des Staates wird die Würde und Autonomie des Opfers in einem solchen Maße verletzt oder zerstört, daß allein die gesetzliche Möglichkeit einer solchen Situation die Grundlagen des Rechtsstaates unterminieren würde.(70) Der Absolutheitsrang des Folterverbotes läßt sich also nicht innerhalb, sondern nur auf Kosten des demokratischen Rechtsstaates in Frage stellen.
Indem die Völkergemeinschaft dem Folterverbot einen Absolutheitsrang gegeben hat, hat sie, vor dem Hintergrund jüngster historischer Erfahrungen, zugleich allen Anmaßungen, totalitären Heils- oder Sicherheitsversprechen die Würde des einzelnen zu opfern, eine absolute rechtliche Schranke gezogen.
Eine zweite über den konkreten Fall hinausweisende Frage von allgemeinerem Interesse bezieht sich auf die moralische und politische Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern und Intellektuellen. Wenn die historischen und moralischen Beweggründe für ein absolutes Folterverbot so klar und zwingend sind und wenn ebenso klar ist, daß Folter und Rechtsstaatlichkeit sich ausschließen, muß es auf individueller Ebene starke Motivationsmomente geben, aus denen erst sich die geschilderten Rechtfertigungsversuche von Folter erklären lassen. Diese Motivationsmomente sind im Selbstverständnis von Intellektuellen und in ihrer Beziehung zum Staat zu suchen. Denn es waren und sind gerade diese Gruppen, die seit jeher in der Geschichte, sei es in Diktaturen oder Demokratien, einen erheblichen Aufwand treiben, der Machtausübung eine Legitimation zu verleihen und die Begrifflichkeit eines moralischen Rechtfertigungsrahmens an das Tun der jeweils Herrschenden anzupassen. Gerade in demokratischen Rechtsstaaten, in denen politische Vorgänge einer gewissen Kontrolle durch die Öffentlichkeit unterliegen, sind die Mechanismen staatlicher Machtausübung auf einen Chor bereitwilliger Intellektueller und Experten angewiesen, welche die für die staatlichen Interessen notwendigen Argumentationsfiguren und erforderlichen Differenzierungen liefern.(71) Das Bybee-Gonzales Memorandum und die Argumentationslinie der APA ragen, geschichtlich betrachtet, nicht einmal in besonderem Maße hervor in dieser beschämenden Tradition intellektueller Unredlichkeit und moralischer Elastizität gegenüber den Mächtigen.
Die geschilderten Vorgänge lassen sich nach etablierten internationalen Rechtsnormen als Kriegsverbrechen ansehen.(72) Daher stellt sich die Frage, inwieweit etablierte internationale Rechtsprinzipien, die im Kontext anderer historischer und politischer Situationen entwickelt wurden, auch für eine rechtliche Beurteilung der an der institutionellen Unterstützung, Konzeption, Vorbereitung und Durchführung von ‘innovativen Verhörtechniken’ beteiligten Psychologen heranzuziehen sind.(73) Wenn wir jedoch die Gültigkeit dieser Prinzipien für unseren Verantwortungsbereich nicht anerkennen und unsere Normverletzungen und Verbrechen durch eine vorgebliche moralische Überlegenheit der von uns verfolgten Ziele und durch Sicherheitsbedürfnisse des Staates zu rechtfertigen suchen, so verlieren wir mit einer solchen Herstellung moralischer Doppelstandards jeden moralischen Anspruch, die Handlungen anderer nach diesen Rechtsprinzipien bewerten zu können. Diese Frage betrifft, über die Verantwortlichkeit von Wissenschaftlern hinaus, uns alle. Denn in demokratischen Rechtsstaaten können wir uns der Frage nicht entziehen, in welchem Maße jeder einzelne Verantwortung trägt für die Verletzungen von Menschenrechten, die in unser Gesellschaft geschehen.
Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurden nicht nur moralische Werte formuliert, sondern zugleich auch Rechtsansprüche – mit ihr wurden Menschenrechte als fundamentale Rechtsnorm verankert. Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, diese Rechtsnormen auch ernst zu nehmen. Daß wir weltweit tagtäglich und in schwerwiegender Weise gegen sie verstoßen, kann und darf nicht als Argument herangezogen werden, ihre Berechtigung in Frage zu stellen. Wie alle Rechtsnormen müssen sie in der täglichen Auseinandersetzung verteidigt, gefestigt und weiterentwickelt werden. Und dies kann nur, wie die APA-Fallstudie zeigt, auf der Basis eines fortwährenden Engagements eines jeden einzelnen erfolgen. Wir haben nur dann eine Chance, die vor 60 Jahren deklarierte völkerrechtliche Fundamentalnorm zu einer Rechtsrealität werden zu lassen, wenn wir bereit sind, nicht wegzuschauen, uns nicht mit den Mächtigen und ihren Interessen zu identifizieren und ihnen nicht in der Verwendung von Doppelstandards zu folgen. Wenn wir nicht wieder und wieder die historischen Erfahrungen dessen wiederholen wollen, wozu der Mensch in seinen destruktiven Potentialen befähigt ist, so haben wir keine andere Alternative, als die Verletzungen historisch mühsam erreichter Fundamentalnormen auch als solche zu benennen und in jedem konkreten Fall auf die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität aufmerksam zu machen. Die Entscheidung liegt also bei uns.
(*) überarbeitete und mit Anmerkungen versehene Fassung eines Vortrags, der anläßlich des 60. Jahrestages der Verabschiedung der Universal Declaration of Human Rights im Dezember 2008 an den Universitäten Kiel, Jena und Potsdam gehalten wurde. Gisela Bergmann-Mausfeld danke ich für wertvolle Anregungen und Kritik, Jürgen Golz und Ernst Fay für hilfreiche Hinweise.